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Vergiftet

Vergiftet

Titel: Vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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Nichts von Interesse. Er stellt sich auf die Zehenspitzen, zieht einen Karton vom obersten Regalbrett, dessen Boden herausbricht, sodass ihm der ganze Krempel vor die Füße fällt. Henning bückt sich und fühlt das Ziehen im Rücken und in der Hüfte, den Schmerz, der sich in regelmäßigen Abständen meldet, als würde er sich nicht auch ohne ihn klar und deutlich an das seifenglatte Balkongeländer und die tödlichen Steinplatten drei Etagen tiefer erinnern. Er schluckt den Schmerz hinunter und arbeitet sich weiter durch den Schrott, den irgendjemand für würdig befunden hat, aufbewahrt zu werden. Methodenberichte von Skup-Konferenzen. Beschlüsse des Presseaufsichtsrats. Eine PC -Maus. Drei nicht mehr funktionierende Stifte. Er schiebt zwei halb volle Kartons mit losen Stiften beiseite – und entdeckt einen Stapel Kassetten, die mit gelbem Klebeband zusammengebunden wurden. Darauf die Initialen HJ mit einem Fragezeichen dahinter.
    Henning lächelt. Zusammengeklebt also, denkt er zufrieden, als er acht Kassetten mit je vier Stunden Sprechzeit zählt. Er weiß, dass er sich auf nichts anderes mehr wird konzentrieren können, bis er sie nicht samt und sonders angehört hat. Vielleicht sollte er Heidi Kjus um ein paar Tage Urlaub bitten?
    Das Klingeln seines Handys reißt ihn aus seinen Gedanken.
    »Tore Pulli hier. Olsvik meinte, ich soll Sie anrufen?«
    Henning steht auf und hört regelrecht das Knacken in seinem Rücken. »Ja, ähm, wunderbar.« Er versucht, seine Gedanken zu sortieren, greift nach dem ersten, der ihm in den Sinn kommt. »Woher kennen wir uns?«
    Es vergehen ein paar Sekunden, ohne dass Pulli antwortet.
    »Bei unserem ersten Gespräch haben Sie gefragt, ob ich mich an Sie erinnere . Diese Frage stellt man niemandem, den man noch nie getroffen oder gesprochen hat. Ich kann mich aber nicht daran erinnern, Ihnen jemals begegnet zu sein. Dazu muss ich sagen, dass die Tage und Wochen vor dem Tod meines Sohnes irgendwie aus meinem Gedächtnis gestrichen sind. Darum meine Frage: Haben wir in den Wochen, bevor es in meiner Wohnung gebrannt hat, irgendetwas miteinander zu tun gehabt? Kannten wir uns?«
    Sekundenlange Stille, in der Henning ein Zittern in seinem Körper aufsteigen spürt.
    »Ich habe gelesen, dass Sie grundsätzlich keine Interviews geben, Pulli. Habe ich versucht, einen Interviewtermin mit Ihnen zu kriegen? Sind wir so in Kontakt gekommen?«
    Pulli antwortet nicht.
    »War ich an einer Sache dran, in der Sie einer der Akteure waren?«
    Noch immer Schweigen.
    »Was hatten Sie an dem Abend vor meiner Wohnung zu suchen? Und damit meine ich eigentlich .«
    Pulli seufzt. »Dazu kann ich mich nicht äußern, Juul.«
    »Wieso nicht?«
    »Weil ich nicht kann. Die Telefone hier drinnen werden abgehört.«
    »Das ist mir scheißegal.«
    »Mag sein, mir aber nicht.«
    »Wenn Sie wollen, dass ich Ihnen helfe, sollte Ihnen das aber egal sein.«
    Pulli seufzt wieder. Als eine ganze Weile keine Antwort kommt, seufzt auch Henning.
    »Ich kann am Telefon nicht darüber reden«, sagt Pulli schließlich.
    »Dann beantworten Sie mir wenigstens die nächste Frage«, kontert Henning aggressiv. »Woher wussten Sie, dass ich wieder zurück in der Arbeit bin?«
    Stille.
    »Okay«, schnauft Henning in den Hörer. »Das muss ich mir nicht antun. Viel Erfolg bei Ihrem Berufungsverfahren.«
    38
    »Nein! Tun Sie das nicht, bitte, tun Sie das nicht!«
    Thorleif packt den Mann an der linken Schulter und schüttelt ihn.
    »Passen Sie auf, wohin Sie fahren!«
    Das Auto ist auf den Schotterstreifen neben dem asphaltierten Weg gedriftet. Thorleif lässt den Mann los und lenkt den Wagen zurück auf die Straße.
    »Tun Sie das nicht! Ich tue alles, was Sie wollen, ich flehe Sie an, geben Sie mir noch eine Chance, tun Sie ihr nichts, bringen Sie sie nicht um!«
    »Zu spät, Toffe. Sie hatten Ihre Chance.«
    »Nein, es ist nicht zu spät! Ich tue, was Sie von mir verlangen. Egal was! Bitte!«
    Thorleif weint. Der Mann antwortet nicht.
    »Bitte«, fleht Thorleif und schlägt immer wieder mit der Faust aufs Lenkrad. Sie erreichen das Ende der Straße. Thorleif bremst, legt den Kopf auf das Lenkrad, schluchzt.
    »Fahren Sie nach rechts«, sagt der Mann leise.
    Er dreht sich zur Seite.
    »Hinter uns kommt ein Auto. Fahren Sie nach rechts«, wiederholt er, dieses Mal schärfer.
    Thorleif richtet sich langsam auf. Er sieht alles verschwommen, erkennt nicht, wohin er fährt, registriert nur, dass der Wagen beschleunigt. Ich bin

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