Vergiftet
schuld, wenn sie stirbt, denkt er verzweifelt. Ich. Gleich geht sie von der Arbeit nach Hause, zum letzten Mal. Und wird ihre Kinder nie wiedersehen.
Die Kinder, denkt er. O Gott!
»Bitte«, versucht er es noch einmal, mit kraftloser Stimme. »Ich tue wirklich alles. Alles . Das nächste Mal schaffe ich es.«
Der Mann bleibt stumm.
Thorleif fährt langsam. Der Weg ist schmal, von Wiesen gesäumt, die bis dicht an die Fahrbahn reichen. Die Farben um ihn herum verschwimmen und wirbeln im Kreis herum. Sein Kopf fällt wieder nach vorn auf das Lenkrad, sein Körper zittert, so heftig weint er. Der Wagen rollt immer langsamer.
Schließlich beugt sich der Mann zur Seite, greift ins Lenkrad, damit sie nicht von der Straße abkommen, und sieht Thorleif an. »Okay«, sagt er ruhig. »Sie sollen noch eine Chance bekommen.«
Thorleif richtet sich auf, hastig, und fixiert den Mann. Überrascht spürt er, welch tiefe und wahrhaftige Dankbarkeit er einem Mann gegenüber empfindet, der ihn eben noch dazu zwingen wollte, einen anderen Menschen zu töten. »Danke«, sagt er erleichtert. »Danke, danke!« Er atmet ruckartig, schließt die Augen und dankt ihm erneut, im Stillen.
»Haben Sie sich wieder beruhigt? Sind Sie jetzt vielleicht in der Lage zu fahren?«
Thorleif blinzelt die Tränen weg, nickt.
»Gut. Dann los!«
Thorleif zieht die Nase hoch und wischt sich mit dem Ärmel die Augen trocken. Sein Gesicht glüht. Aus den Haaren und von der Stirn läuft ihm der Schweiß. Sie passieren ein großes gläsernes Treibhaus, das nur auf Steine aus Kinderhänden wartet.
»Soll ich umkehren?«, stammelt er.
»Nein.«
»Aber, was … wie …«
»Fahren Sie zurück ins Parkhaus. Folgen Sie einfach dieser Straße.«
»Aber soll ich nicht …«
»Nicht jetzt.«
Thorleif reißt sich zusammen, wischt sich noch einmal übers Gesicht und gibt Gas. Unendliche Erleichterung durchströmt ihn. Die Prüfung ist überstanden. Zumindest fürs Erste. Trotzdem muss er die ganze Zeit daran denken, was als Nächstes passieren wird, welche grausame Aufgabe werden sie ihm stellen, wer wird das nächste Opfer sein? Warum ausgerechnet er? Was hat er getan?
Zwanzig Minuten später sind sie wieder in der Tiefgarage in Larvik. Thorleif parkt neben seinem eigenen Auto.
»Was jetzt?«, fragt er, als der BMW steht.
»Jetzt fahren Sie nach Hause. Und wenn Sie dort sind, lassen Sie sich nichts anmerken. Sie werden niemandem erzählen, was Sie heute gemacht haben. Auch nicht der Polizei. Wenn Sie in irgendeiner Weise versuchen, dort jemanden zu kontaktieren, muss nicht nur Ihre Frau dran glauben.«
Thorleif kriegt keinen Ton heraus.
»Und jetzt fahren Sie nach Hause.«
»Aber was soll ich … wann soll ich …«
»Wir werden uns wieder mit Ihnen in Verbindung setzen. Fahren Sie jetzt nach Hause.«
Thorleif bleibt sitzen. »Wieso ich?«, fragt er leise.
Der Mann antwortet nicht.
»Also gut«, sagt Thorleif und öffnet die Fahrertür. Er steigt aus und geht um sein eigenes Auto herum. Das Fenster auf der Beifahrerseite des BMW geht auf.
»Fahren Sie vorsichtig«, sagt der Mann. »Wir wollen doch nicht, dass Ihnen etwas zustößt. Oder dass Sie sich selbst etwas antun. Das würde es für Ihre Familie nur noch schlimmer machen.«
»Verstehe.« Thorleif nickt.
»Und, Thorleif«, sagt der Mann und sieht ihn an. »Sie sollten ernsthaft darüber nachdenken, etwas gegen die Spleiße in Ihrem Fußboden zu unternehmen.«
39
Sobald Thorleif das Parkhaus verlassen hat, ruft er Elisabeth an, aber sie antwortet nicht. Er sieht auf die Uhr. Vermutlich hat sie noch Unterricht, denkt er und fährt auf die E 18 in Richtung Oslo. Unterwegs probiert er es in regelmäßigen Abständen immer wieder, aber erst als er in Höhe Sandvika ist, geht sie ans Telefon.
»Thorleif«, sagt sie ängstlich, »ist was passiert?«
Er schließt die Augen. Der Klang ihrer Stimme erfüllt ihn derart mit Erleichterung, dass er fast losheulen könnte. Thorleif holt tief Luft und beruhigt sich wieder. Er denkt kurz nach und antwortet: »Nein, es ist nichts passiert.«
»Mein Gott, Thorleif, ich habe acht Anrufe in Abwesenheit auf meinem Handy! Ich war mir sicher, dass den Kindern was zugestoßen ist!«
»Nein, es ist nichts.«
»He, so etwas kannst du nicht machen!«
»Wo bist du?«, fragt er und versucht, sie abzulenken.
»Wo ich bin? In der Schule natürlich. Und du? Wie ich höre, sitzt du im Auto.«
»Äh, ja, ich bin auch noch bei der Arbeit.«
»Also, warum hast du
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