Vergiftet
an, dass man die letzten Aufnahmen von Tore Pulli in der Nachrichtensendung um 21.00 Uhr sehen werde. Auf der Webseite des Senders sei überdies ein Interview mit der Reporterin Guri Palme zu lesen, die Tore Pulli interviewen sollte.
Henning dreht den Ton leiser, klappt den Bildschirm seines Laptops hoch und geht ins Internet. Die Homepage von 123nyheter öffnet sich. Dort stößt er schnell auf das Lieblingsfoto der norwegischen Presse von Tore Pulli, aufgenommen im Augenblick der Urteilsverkündung vor bald zwei Jahren, als er ungläubig, mit aufgerissenen Augen und weit geöffnetem Mund in die Kamera starrt.
Unter der Hauptmeldung folgt eine ganze Reihe von Links, alle mit relevanten, aktuellen Themen. Henning klickt den ersten Verweis an.
Während er sich durch den Artikel scrollt, stellt er fest, dass Iver seinen Job gründlich gemacht hat. Er hat die Geschehnisse des Tages dramatisiert, den Fall im Präsens beschrieben, ergänzt durch Uhrzeiten und alles weitere Wesentliche. Abschließend fasst er kurz zusammen, wegen welcher Taten Tore Pulli einst verurteilt wurde, inklusive Faktenbox und Hintergründen. Der Lauftext ist durch ein großes Bild von Veronica Nansen unterbrochen, die auf keine der Anfragen von 123nyheter geantwortet hat.
Die Nachrichtenredaktion hat das TV 2-Interview mit Guri Palme aufbereitet. »Der Schock meines Lebens.« Klug, denkt er, so schnell etwas Exklusives zu dem Fall zu bringen und noch während der Sendung darauf hinzuweisen. Synergien, wie man es in Fernsehkreisen vornehm nennt. Er unterlässt es, den Beitrag anzuklicken, er weiß ja doch, was dort steht.
Iver hat auch mit Pullis Anwalt, Frode Olsvik, gesprochen, der angibt, seinen Klienten noch Stunden vor dem Interview besucht zu haben. Da habe nichts auf irgendeine Krankheit hingedeutet.
Henning seufzt, denkt wieder an Pulli und spürt zum ersten Mal seit Langem, dass er Lust auf eine Zigarette hat. Aber der Gedanke an seine Mutter, die an ihre Beatmungsmaschine gekoppelt am Küchentisch festgekettet dasitzt, reicht ihm, um den Drang wieder loszuwerden. Was für ein Leben, denkt er. Was für ein Tod.
Bei Pulli ging es wenigstens schnell.
54
Erst als er in der Hütte steht, wird Thorleif bewusst, dass die Innenräume über eine Alarmanlage gesichert sein könnten. Aber der Strom ist ausgeschaltet, und es gibt auch nirgendwo einen Hinweis für eine Verbindung zu irgendeiner Alarmgesellschaft.
Nachdem er eine Zeit lang gesucht hat, findet er an der Außenseite der Hütte den Sicherungskasten. Das Wasser ist glücklicherweise angedreht, sodass er nicht draußen zwischen Heide, Büschen und Steinen in der Ustaoser Landschaft nach irgendwelchen Leitungen forschen muss.
Als er wieder nach drinnen kommt, plündert er die Speisekammer um einen Doseneintopf, den er sich aufwärmt, obwohl er eigentlich keinen Hunger hat. Aber schon beim Essen spürt er, dass die saftigen, leckeren Fleischbällchen und die Kartoffeln und Karotten ihm zu neuen Kräften verhelfen. Trotzdem quält ihn sein Gewissen, wenn er sich vorstellt, was Elisabeth denkt oder fürchtet, während sie ruhelos in ihrer Wohnung auf und ab läuft und nur abwesend auf die Fragen der Kinder antwortet. Dass der Mann mit dem Pferdeschwanz und seine Kumpanen jetzt sicher irgendwo hocken und sie beobachten, macht die Sache nicht besser.
Nach dem Essen registriert er, dass der Himmel langsam seinen Glanz verliert. Der Laden ist um diese Zeit wahrscheinlich geschlossen, denkt er, aber das macht nichts, er hat ja gegessen und braucht erst morgen wieder etwas. Er macht sich daran, sich mit der Hütte vertraut zu machen. Sie ist mit einer drehbaren Biotoilette ausgestattet, deren Gebrauchsanweisung an der Badezimmerwand hängt und die er befolgt, bevor er sie benutzt. Anschließend duscht er mit lauwarmem Wasser und trocknet sich mit einem Handtuch ab, das er in einem der Badezimmerschränke findet. Sofort fühlt er sich besser.
Bücher und anderen Lesestoff gibt es in der Hütte zuhauf. Er findet auch eine Karte der Gegend, die ihm eventuell noch nützlich sein wird. Im Werkzeugschuppen hat er Angelgerät und Kunstköder gesehen. Wenn ich eine Weile hierbleiben muss, kann ich mir ja vielleicht eine Forelle angeln, denkt er.
Die Hütte hat einen Fernseher, er entschließt sich aber, ihn nicht einzuschalten, weil das Flackern des Bildschirms sicher von Weitem zu sehen ist. Ursprünglich hatte er vorgehabt, überhaupt kein Licht anzuschalten, um keinen der Nachbarn zu
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