Vergiss es Baby - Roman
auch, eine junge Frau in deinem Alter sollte sich ruhig mal ein bisschen amüsieren, Spaß haben, Leute treffen.«
Mama hatte Georg in George umbenannt, das sie wie Dschoortsch aussprach, weil es in ihren Ohren viel distinguierter klang. Es passte auch besser zu seinen grob karierten Tweedjacketts, der Pfeife, die er ständig paffte, und seinem trockenen
Humor. Nur passte Dschoortsch nicht zu Georg. Er war Deutscher. Kein Brite.
»Mama, ich habe Spaß«, entgegnete sie.
»Ja, ja, ja. Wie gestern Abend«, ihre Mutter ließ sich nicht beirren, »als ich dich angerufen habe. Diese netten jungen Leute in deiner Wohnung haben gefeiert, und was machst du? Sitzt mit deinen Unterlagen am Computer, bei diesem Follow … Follow down.«
»Follow-up, Mama. Dabei geht es um die Nachbereitung von Kundenterminen.«
»Up oder down. Das ist doch nun wirklich egal, Kind. Du jedenfalls warst down. Wie so oft in letzter Zeit. Du wirst noch richtig depressiv, wenn du immer nur zu Hause rumhockst! Bist du etwa wieder so früh ins Bett gegangen?«
Natürlich, Mama. Wie immer.
»Bestimmt. Hoffentlich nicht ohne einen Schlummertrunk mit deinen Gästen zu nehmen.«
Marlene ersparte sich die Bemerkung, dass es nicht ihre Gäste gewesen waren.
»Mama. Ich bin unterwegs. Wir reden ein anderes Mal, ja?«
»Bitte warte nicht zu lange. Ich muss doch noch im Luxor reservieren und …«
Es brauchte mehr als einen Vorwand, Mama loszuwerden, aber irgendwie schaffte sie es.
Ein erneuter Blick auf die Uhr sagte ihr, dass ihr nur noch ganze drei Minuten blieben. Keine gute Zeitvorgabe für die Suche nach einem Parkplatz in den engen Straßen des Lehel. Um den Wagen am Isartor in ein überteuertes Parkhaus zu stellen, hätte sie ein gutes Stück in die entgegengesetzte Richtung fahren
müssen, um die ganze Strecke anschließend zu Fuß zurückzulaufen. Das kam nicht in Frage, also blieb ihr nur das Nächstliegende. Kurzerhand setzte sie den Wagen über den Bordstein und parkte auf dem Gehweg. Die Tatsache, dass sie dabei nicht nur den Radweg, sondern auch eine Feuerwehrzufahrt blockierte, ignorierte sie.
Schnell nahm sie Aktenmappe, Handtasche und Notebook vom Beifahrersitz und sprang aus dem Wagen. Als sie beim Aussteigen bemerkte, dass ihre cremefarbene Bluse die klaffende Lücke an ihrem Rockbund, wo der Knopf abgesprungen war, nur unzureichend überdeckte, geriet sie kurz in Panik. Nun würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als trotz der Wärme ihre Jacke überzuziehen. Die lag im Kofferraum und hätte durch den Kontakt mit einem Bügeleisen sicher gewonnen.
Im Laufschritt rannte sie über eine rote Fußgängerampel, ohne auf das Hupen eines empörten Autofahrers zu achten, und bog wenig später keuchend in die Liebherrstraße ein. Bewegung war sie nicht gewohnt, und so brach ihr bereits nach wenigen Metern der Schweiß aus. An einem Zebrastreifen versuchte sie, ihre Handtasche zu öffnen, doch der Verschluss klemmte. Keine Chance auf ein Taschentuch, um sich die Stirn abzuwischen.
Endlich stand sie völlig außer Atem vor dem ehemaligen »Goldenen Löwen«, den Sauger gepachtet hatte und gerade renovieren ließ. Nur leider war es ihr nicht möglich einzutreten, denn genau in diesem Moment sprang ihre Handtasche doch noch auf. Ihre Schminkutensilien und ein Durcheinander aus Kugelschreibern, Notizzetteln und Taschentüchern fielen heraus und blockierten die Tür. Fluchend sammelte sie ihre
Habseligkeiten auf, bevor sie endlich die Gaststube betreten konnte.
Ein Mann saß an einem Tisch, ein Weißbier und die Morgenzeitung vor sich. Zu seinem weißen Poloshirt trug er gepflegte Sonnenbräune zur Schau. Eine gute Tarnung, um einem dämonischen Eindruck entgegenzuwirken, aber nicht gut genug. So schnell ließ sie sich nicht in die Irre führen. Gewiss dauerte es nicht lange, bis ihm Eckzähne wuchsen.
Marlenes feuchte Hand, die sie ihm entgegenstreckte, ignorierte er. Das konnte sie verstehen, aber zu einem guten Tag hätte er sich doch durchringen können?
Sie sah sich nach einer Sitzgelegenheit um, aber das gesamte Mobiliar war wegen der bevorstehenden Malerarbeiten zur Seite geschoben worden. Da sie weit und breit keinen freien Stuhl ausfindig machen konnte, blieb sie einfach stehen.
»Guten Tag, Dittrich. Von Öttken Lebensmittel«, machte sie einen zweiten Anlauf und zeigte ihm ihr routiniertes BusinessLächeln. Ungeduldig wartete sie darauf, doch noch seine Bei ßerchen zu sehen, aber sie wurde abermals enttäuscht. Er sah noch
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