Vergossene Milch
diesem Tag stützte ich am Tisch die Ellbogen auf und aß mit offenem Mund. Nachdem Mama mich zwei-, dreimal gerügt hatte, schickte sie mich für den Rest des Mittagessens in die Küche. Da wurde ich dreist, riss den Mund auf und zeigte ihr den Brei aus Reis, Bohnen, Fleisch und Kartoffeln, ich glaube, ich war wirklich auf ein paar Ohrfeigen aus. So wie ich glaube, dass es mir von Zeit zu Zeit fehlte, die Hosen herunterlassen zu müssen, damit mein Vater mich mit seinem Ledergürtel züchtigte. Danach stieg ich immer gern im Badezimmer weinend auf den Hocker und besah mir im Spiegel über dem Waschbecken den Abdruck der Schnalle auf meinem Gesäß. Und als Mama vom Tischende aufstand und auf mich zuging, kam ich ihr zuvor und fing an zu heulen und machte mir in die Hose. Sie hob die flache Hand, doch im letzten Augenblick besann sie sich. Sie sah mich scharf an und sagte, von den Montenegros in Minas Gerais habe keiner so dicke Lippen wie ich. Das Essen spuckte ich aus, auf den Teller, aber die Beleidigung blieb mir all die Jahre im Hals stecken. Und als ich jetzt aus der Bibliothek ging, habe ich sie nebenbei gefragt, warum sie mir nie erzählt hat, dass Onkel Badeco Montenegro Kraushaar hatte.
13
Eulálio Montenegro d’Assumpção , 16 . Juni 1907 , verwitwet. Vater, Eulálio Ribas d’Assumpção, wie die Straße hinter der Metrostation. Zwar war er zwei Jahre lang ein Platz mit Bäumen mitten in der Stadt, aber dann kamen die Liberalen an die Macht und ersetzten seinen Namen durch den eines Caudillo aus Rio Grande do Sul. Senhora, Sie haben doch sicherlich gelesen, dass die Leute aus Rio Grande do Sul in die Hauptstadt einfielen, ihre Pferde am Obelisken anbanden und unsere Traditionen mit Füßen traten. Viel später hat ein aufgeklärter Bürgermeister meinen Vater rehabilitiert und einen Tunnel nach ihm benannt. Aber dann kamen die Militärs, die setzten Papa zum zweiten Mal ab, und sie tauften den Tunnel um nach einem Leutnant, der ein Bein verloren hatte. Mit Einführung der Demokratie schließlich teilte ein umweltbewusster Stadtrat aus weiß der Himmel welchem Grund meinem Vater die Sackgasse zu. Mein Großvater ist auch eine kleine Querstraße, in der Nähe der Docks. Und von meiner Mutter Seite her ist Rio de Janeiro wie ein Stammbaum, wenn Sie es nicht glauben, schicken Sie einen Jungen einen Stadtplan kaufen. Das sind meine persönlichen Daten, falls Sie Ihre Unterlagen aktualisieren wollen. Alles andere sind Lappalien, damit beschäftige ich mich nicht, im Übrigen bin ich nicht auf meinen Wunsch hier, meine Tochter hat mich eingeliefert. Private Krankenversicherung, darum kümmere ich mich nicht, und wenn Sie noch Geld zu bekommen haben, wenden Sie sich bitte an Dona Maria Eulália. Was die Buchhaltung betrifft, meine Rechnungen bezahlt mein Ururenkel Eulálio d’Assumpção Palumba Neto. Und wenn Sie unbedingt wissen wollen, woher seine Einkünfte kommen, versichere ich Ihnen, dass ich keine Ahnung habe. Ich bin dem Jungen sehr dankbar, aber um ohne jede Ausbildung Millionen zu verdienen, muss er Filmstar sein oder etwas noch Schlimmeres, das können Sie aufschreiben. Aber Sie schreiben gar nichts auf, Sie schütteln den Kopf und sehen mich an, als redete ich dummes Zeug. Die Leute geben sich nicht damit ab, einem alten Mann zuzuhören, deshalb gibt es hier so viele verstummte Alte mit verlorenem Blick, wie in einem fremden Land. Wer dummes Zeug redet, ist meine Tochter, die ist achtzig, wenn überhaupt. Der Junge fährt ich weiß nicht wohin, hat die Koffer voller Geld, und sie sagt, der ist nun wirklich ein echter Assumpção. Aber das Geld der Assumpçãos war immer sauber, das war Geld von Leuten, die Geld nicht nötig haben. Wissen Sie, als mein Vater vom Präsidenten Campos Sales die Konzession für den Hafen von Manaus erhielt, war er ein hochangesehener junger Politiker, mit altem Familienvermögen. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen schon erzählt habe, dass mein Urgroßvater von Kaiser Dom Pedro I. zum Baron gemacht wurde, er zahlte für den Handel mit Arbeitskräften aus Mosambik hohe Abgaben an die Krone. Wenn ich heute Entbehrungen leide, lebe ich bald schon auf großem Fuß, das sind die Wechselfälle im Leben von Menschen, die gewohnt sind, mit großen Summen zu jonglieren. Gestern erst habe ich mit meinen Anwälten gesprochen, endlich soll nun die Entschädigung für die Enteignung meiner Fazenda am Fuß der Berge ausgezahlt werden. Die eine Regierung geht, die andere kommt,
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