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Vergossene Milch

Vergossene Milch

Titel: Vergossene Milch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chico Buarque
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sechzig Jahre gegen den Bund prozessiert, um eine lächerliche Entschädigung zu überprüfen, die man auf den ersten Blick festgesetzt hatte. Auf die Übervorteilung aufmerksam gemacht hat mich mein Schwiegersohn, er wollte das Landgut kennenlernen, wo Maria Eulália um ein Haar nicht zur Welt gekommen wäre. Ich gestehe, mich hat es etwas melancholisch gestimmt, das alles zu sehen, das verfallene Herrenhaus im Kolonialstil, die Kapelle nur noch ein Gerippe, den verkohlten Stall, den verdorrten Rasen und das unbebaute Ackerland der Fazenda meiner Kindheit. Industriebetriebe hatten sich auf dem ländlichen Gebiet angesiedelt, und ein paar Favelas verschandelten bereits die Umgebung. Aber Amerigo Palumba, der die Fazenda nicht in ihrer ganzen Pracht gekannt hatte, sagte, als er an das Flussufer trat,
cazzo,
das hier ist ein Paradies. In diesem Augenblick bot der Fluss tatsächlich ein großartiges Schauspiel, die Sonne tief über seinem undurchdringlich grünen Wasser, das sich dann senfgelb verfärbte. Und ein Windstoß, vielleicht von der Zellulosefabrik her, trug Schwefelgeruch zu uns herüber, und meiner schwangeren Tochter wurde davon übel. Die Fazenda war zwar für Landwirtschaft und Freizeit nicht mehr geeignet, aber ihre zweihundert
Alqueires
Acker wurden für die Trasse der Überlandstraße benötigt. Das hatte das Gutachten nicht entsprechend berücksichtigt, wie man mir im luxuriösen Anwaltsbüro erklärte, das Palumba engagiert hatte. Bevor er mein Vertrauen missbrauchte, bewies mein Schwiegersohn einen Geschäftssinn, der nie meine Stärke war, wie ich gestehen muss. Wir hatten so manche Unterhaltung in meinem Chalet in Copacabana, wo er mich abends mit einer Flasche Whisky in satinierter Hülle besuchen kam. Er behauptete, internationale Finanzgruppen zu vertreten, die für beträchtliche Investitionen in Fonds für den Wiederaufbau Europas verantwortlich zeichneten. Zu seinen Kunden zählten Freunde aus dem italienischen Adel, die, ohne mit der Wimper zu zucken, ihre Burgen an exzentrische amerikanische Millionäre verkauften, um an Bargeld zu kommen. Es war offenkundig, worauf Palumba hinauswollte, wenn er sich ausführlich im Chalet umsah, er entdeckte Spuren von Termiten im Holz, fragte nach der Größe des Grundstücks. Und Maria Eulália an seiner Seite entblödete sich nicht, das Haus zu verachten, in dem sie geboren und aufgewachsen war, diese lächerliche Schweizer Architektur in einem tropischen Land. Die beiden legten mir nahe, das Chalet an ein Bauunternehmen zu verkaufen und zu meiner Mutter in die neoklassizistische Villa in Botafogo zu ziehen. Und sei es nur, weil ich sie mit meiner Anwesenheit aufmuntern konnte, auch wenn sie mich nicht mehr erkannte. Mamas Verwirrung hatte vor ein paar Jahren mit einer Art Dysphasie angefangen, sie sprach klar und deutlich, warf aber alle Wörter durcheinander. Und als sie merkte, dass niemand sie verstand, war sie beleidigt, sprach seitdem auf Französisch und blieb dabei. Auch auf Französisch warf sie die Wörter durcheinander, aber ihr Chauffeur Auguste verstand sie nicht nur, er antwortete ihr auch mit noch mehr durcheinandergewürfelten Wörtern. Sie nannte ihn Eulalie, und er mit seiner fortgeschrittenen Sklerose hörte bereitwillig auf den Namen seines früheren Herrn. Und er setzte sich zu ihr in den Salon, reichte ihr im Garten den Arm, gestattete sich, sie einfach mit ihrem Vornamen anzureden, in der ebenfalls französierten Form Marie Violette. Als Auguste in ihrem Bett starb, bekleidet mit einem Pyjama mit dem Monogramm meines Vaters, verwitwete Mama abermals und trauerte noch mehr als beim ersten Mal. Und inzwischen sprach sie überhaupt keine Sprache mehr, bewegte sich nicht, weinte nicht einmal, es rührte mich, sie so zu erleben, in ihrer endgültig erstarrten Traurigkeit. Unterdessen drängte mich meine Tochter mit dickem Bauch und phantastischen Plänen voller Begeisterung, die Zukunft der Familie dem Investment-Portefeuille des Amerigo Palumba anzuvertrauen. Doch da ich es nicht fertigbrachte, mich von Matildes Heim zu trennen, zog ich die Möglichkeit in Erwägung, die Villa in Botafogo zu opfern, die mit ihrem Dutzend Hausangestellten große Kosten verursachte. Um ihren Lebensstil aufrechtzuerhalten, hatte Mama kaum mehr zur Verfügung als die lebenslange Pension meines Vaters, denn von dem Erbe der Montenegros waren auf sie nur ein paar Schatzbriefe von geringem Wert entfallen. Ich holte tief Luft, und mit einem Stich in der

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