Vergraben
wirkte wie eine Hochzeitstafel.
Nathan sagte ihnen, dass er keine Verkaufserfahrung hatte und sich nicht sonderlich für Grußkarten interessierte. Außerdem hatte er sich noch nie zuvor bewusst gemacht, welch bedeutende Rolle Grußkarten beim Begehen britischer Übergangsriten spielten – Geburt, Hochzeit, Krankheit und Tod.
»Aber ich habe mir am Wochenende wirklich Gedanken darüber gemacht«, sagte er, und die Interviewer lachten. Eine der Frauen flirtete sogar ein wenig mit ihm, indem sie mit ihrem Kugelschreiber spielte.
Als das Lachen abgeebbt war, fuhr er fort: »Tatsache ist, dass ich in den guten Zeiten bei Mark gelernt habe, unter Druck zu arbeiten. Und in den schlechten Zeiten habe ich gelernt, was Loyalität bedeutet.«
Nachdem er über Mark Derbyshire gesprochen hatte, breitete sich eine düstere Stimmung im Raum aus.
Sie dankten Nathan, dass er gekommen war. Er schüttelte allen die Hand und dankte ihnen ebenfalls, ging hinaus und direkt in den nächsten Pub. Er setzte sich in den Biergarten. Die Sonne schien so hell, dass er kaum seine Zeitung lesen konnte.
Hermes Cards rief ihn am nächsten Tag an: Sie wollten ihn kommenden Dienstag wiedersehen.
Er kaufte sich eine neue Krawatte, einen Regenmantel und einen Knirps für den Fall, dass es an dem Tag regnete. Er fragte sich, wie der Mensch, der diese Kleidung trug, mit dem verlorenen Mann in Griechenland in Beziehung stand, dem in den Cargoshorts von Gap und den Nike-Sandalen, und jener wiederum mit dem gruseligen Verrückten in dem Paul-Smith-Anzug, der mit blutigen Nägeln die kalte, nasse Erde aufgekratzt hatte. Er konnte keine Verbindungslinie zwischen ihnen ziehen. Er bestand aus einer Reihe einzelner Punkte, einem Morsecode.
Das zweite Vorstellungsgespräch fand in einem anderen Raum statt. Diesmal setzten sie sich an einen glänzenden ovalen Tisch, und noch bevor jemand etwas sagte, wusste Nathan, dass er den Job bekommen hatte.
Er sollte am 1. Juli anfangen, was noch zehn Tage Nervosität bedeutete. Er hatte keine Ahnung, was man bei einer richtigen Arbeit machte.
Er ging in die Wirtschaftsabteilung des örtlichen Buchladens und gab siebzig Pfund für Titel aus, die versprachen, ihm effektivere Kommunikation beizubringen, aber keines der Bücher sagte ihm irgendetwas, was nicht sowieso schon vollkommen offensichtlich war.
In den schlaflosen Nächten lag er im Bett, eingeklemmt zwischen der Vergangenheit und der Zukunft. Am Morgen lag er da und hörte den Kindern beim Spielen zu.
Und dann war der Tag gekommen, und er ging zur Arbeit.
Am Empfang stellte er sich vor mit: »Ich bin der Neue.«
»Wenn Sie sich setzen möchten, Roy kommt gleich runter«, sagte die Empfangsdame.
Nathan hatte keine Ahnung, wer Roy sein mochte. Er saß mit der Aktentasche auf dem Schoß da und wartete.
Hinter der Empfangstheke stand ein hölzernes Bücherregal, das die ganze Wand ausfüllte und bis zur Decke reichte. Darin waren Hunderte von Grußkarten aufgestellt. Es gab obszöne Cartoons, Blumenmotive für die Kranken und Hinterbliebenen, Glückwünsche zur Elternschaft und zum Schulabschluss. Sie waren innen leer, aber bereit, einen Lebensweg zu begleiten, der erst noch beschritten werden musste.
Die Empfangsdame sah, dass er die Reihen absuchte.
»Gibt es eine mit Glückwunsch zum neuen Job ?«, fragte Nathan.
Sie verrenkte sich auf dem Stuhl. »Da oben müsste irgendwo eine sein.«
Er lächelte, dann ertönte das »Ping« einer Fahrstuhltür und er drehte sich um. Ein Mann, den er für Roy hielt, schritt auf ihn zu. Roy war adrett und energisch und nicht mehr weit von der Rente entfernt, sein Händedruck zermalmte Nathan beinahe die Fingerknochen.
»Du musst Nathan sein.«
Roy legte Nathan den Arm um die Schulter. Nathan war seit vielen Monaten von keinem Menschen mehr berührt worden. Er versuchte gerade, sich unter Roys väterlichem Griff zu entspannen, als Roy sagte: »Ich hab schon viel von dir gehört.«
»Okay«, sagte Nathan. »Gut.«
Roy führte ihn zum Aufzug. Nathan starrte auf sein Spiegelbild, während sie zwei Stockwerke hinaufrauschten. Dann führte Roy ihn vorbei an dem, was er den gläsernen Sitzungssaal nannte, und danach durch eine Flügeltür in den Arbeitsbereich des Bürogebäudes.
Die ganze Etage war ein Großraumbüro, das von kleinen Einzelbüros mit Glaswänden umgeben war, in denen eingesperrte Führungskräfte und Manager am Telefon sprachen oder zuhörten oder sich über Laptops beugten.
»Hier befinden sich
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