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Vergraben

Vergraben

Titel: Vergraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Cross
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Wandels oder Wachstumschance? strahlten, in die Lobby, wo sich Grüppchen zusammenschlossen wie Materie nach dem Urknall.
    Die geflüsterten Gespräche drehten sich darum, wie gelangweilt alle waren, wie heiß es da drin war und wer abends beim Galadinner neben wem saß.
    Ein regelmäßiger Triumph der Marketingabteilung war die ausgeklügelte Sitzordnung beim Galadinner. Diese Sitzordnung spiegelte implizit die tief verwurzelten, strukturbedingten Feindschaften innerhalb der Firma wider. Die, die sich hassten, wurden an verschiedene Tische gesetzt – ebenso wie die, die miteinander schliefen, und die, die nicht mehr miteinander schliefen. Die, die man bei der Beförderung übergangen hatte, wurden nicht neben die erfolgreichen Kandidaten platziert. Unbeliebte Überflieger mit Hochschulabschluss wurden nicht neben erdbeernasige Alkoholiker gesetzt, die noch immer vor Wut über den Verlust weit zurückliegender Weihnachtsboni kochten.
    Zehn Tage vor jeder Konferenz wurde dieses Werk – in tiefer Verehrung Sitzordnungsentwurf genannt – beim Hauptgeschäftsführer und anderen Mitgliedern des höchsten Ausschusses eingereicht. Der Hauptgeschäftsführer und der höchste Ausschuss ignorierten den Sitzordnungsentwurf immer bis neunzig Minuten vor dem Galadinner, um ihn dann abzulehnen.
    Dies führte dazu, dass die Marketingabteilung – sechs Frauen und zwei gut aussehende, schüchterne Volontäre mit Hochschulabschluss, die sich fragten, was zur Hölle sie hier verloren hatten – einen Krisenstab einberief und kettenrauchend im logistischen Chaos versank.
    Mit folgendem Ergebnis: Niemand saß neben jemandem, den er mochte – niemand außer der Marketingabteilung, die sich selbst, die Kunstabteilung und eine ausgewählte Anzahl der geistreichsten und witzigsten Vertreter an die beiden Tische in der hintersten, abgeschiedensten Ecke platzierte, wo sie sich dann bis drei Uhr morgens betranken und Witze über den Hauptgeschäftsführer und die Direktoren erzählten.
    Wie alle anderen auch hasste Nathan das Galadinner – es bewirkte jedes Mal das Gegenteil von dem, was beabsichtigt war: Man konnte spüren, wie der Knoten aus Groll, Neurosen und blankem Hass zu schmoren begann wie eine schlechte Verkabelung.
    Das Schlimmste war, dass er nie voraussehen konnte, ob er diesmal in der Gunst der Marketingabteilung stand und somit auserwählt wurde, bei ihnen zu sitzen, oder nicht.
    Als also alle in flüsternden Grüppchen im Foyer zusammentraten, beschloss Nathan, sich die nervenaufreibenden Diskussionen zu ersparen.
    Er blieb stehen und klopfte alle seine Anzugtaschen ab, als wäre er verwirrt – vielleicht suchte er nach dem teuren Feuerzeug, das da in seiner Tasche sein sollte. Mit finsterem, bestürztem Gesichtsausdruck ging er weg und tastete weiter seine Taschen ab, als erwartete er, dass das Feuerzeug sich auf übernatürliche Weise materialisierte. Dann wandte er sich nach rechts, stieg in den Fahrstuhl und fuhr nach oben.

    Nathan mochte Hotelzimmer. Darin konnte er so tun, als sei er wirklich der Mensch, den er aus sich gemacht hatte. Er mochte die Straffheit der Bettdecken und die strahlende Sterilität des Badezimmers, das konstante Summen der Klimaanlage. Er mochte die unantastbare Macht des Schildes Bitte nicht stören . Es gefiel ihm, es morgens, wenn er aus dem Zimmer trat und seine Krawatte festzog, umzudrehen auf die Seite Bitte räumen Sie mein Zimmer auf . Und er mochte das Gefühl der Grenzüberschreitung, wenn er die Tür hinter sich schloss und seine Krawatte lockerte, dann den Anzug auszog und sich in Socken und Boxershorts neben den Haufen zerknitterter Kleidung aufs Bett legte und durch die Fernsehsender zappte.
    Als er dies jetzt tat, döste er mit der Fernbedienung in der Hand ein. Er erwachte mit einem Ruck. Sein Speichel hatte ihn ans Bett geklebt und war auf seinem Kinn zu einer dünnen, schuppigen Kruste getrocknet.
    Er hatte die Klimaanlage zu niedrig eingestellt: Er fror an den Beinen. Er rollte sich zusammen. Draußen war es dunkel. Er hatte keine Ahnung, wie spät es war. Er drückte die Lautstärketaste auf der Fernbedienung. Die Sechs-Uhr-Nachrichten fingen gerade an. Er hatte also noch jede Menge Zeit, um richtig aufzuwachen, ausgiebig zu duschen und trotzdem pünktlich zum Abendessen umgezogen zu sein.
    Er kroch unter die Decke und hörte sich mit geschlossenen Augen die Kurznachrichten an, die übliche Reihe großstädtischer Skandale und internationaler Spekulationen. Der Teil von

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