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Vergraben

Vergraben

Titel: Vergraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Cross
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hatte. Aber was auch immer es war, es genügte, um Mark zum Verhör festzunehmen.
    Noch einmal wurde Mark Derbyshires Vergangenheit in allen Zeitungen und allen Nachrichtensendungen aufgerollt.
    Mark wurde nach der Befragung freigelassen, Anklage wurde nicht erhoben. Aber das Land wusste, dass er es gewesen war, auch wenn das offiziell niemand sagen durfte. Und so endete schließlich Mark Derbyshires lange Karriere.

    Die Polizei fand Elises Leiche nicht, und auch sonst niemand.
    Nathan verstand nicht, wieso. Er glaubte nicht, dass er und Bob sie besonders gut vergraben hatten.
    Vielleicht suchte die Polizei einfach am falschen Ort.
    Jeden Morgen schaltete er sofort nach dem Aufwachen das Radio ein – und erwartete eine Meldung zu hören, dass ihre Leiche gefunden worden war.
    Aber die Meldung kam nie.

11
    In jenem Frühjahr kaufte er sich einen Rucksack und einen sechs Wochen lang gültigen InterRail-Pass für Europa. Aber er nahm Elise mit.
    Er war zu alt, um sich Nachtzüge mit Abiturienten zu teilen. Nach sechs Wochen befand er sich um drei Uhr morgens allein auf Ikaria und ließ seine nackten, braungebrannten Beine von einem Bootssteg baumeln. Er hatte die ganze Nacht vor einem Restaurant gesessen, allein mit einem Buch, das er zu lesen vorgab, und vage gehofft, jemand würde ihn ansprechen. Aber niemand tat es.
    Seit er England verlassen hatte, hatte er kaum gesprochen, außer, um etwas zu trinken oder zu essen zu bestellen. Er strahlte etwas Düsteres aus. Andere wollten ihm nicht zu nahe kommen.
    Er versuchte sich einzureden, dass er eigentlich lieber nach Amerika gefahren wäre, dass er dieses billige Pauschalticket nur gewählt hatte, weil er sparen wollte. Aber das stimmte nicht.
    Mit achtzehn war Nathan mit seiner Freundin Chloe auf die griechischen Inseln geflogen. Es war ihr erster und einziger gemeinsamer Urlaub, und die ganzen drei Wochen über waren sie glücklich und traurig zugleich gewesen, denn sie wussten, dass die Reise ein verlängerter Abschied war. Sie wollten an unterschiedlichen Universitäten studieren und wussten, dass sie sich verändern würden. Die Beziehung aufrechtzuerhalten war sinnlos – Chloe hatte ihre beiden Brüder diesen Fehler machen sehen, und sie waren dabei nur unglücklich geworden.
    Jetzt, allein auf dem Bootssteg auf Ikaria, bemerkte er, dass er in den letzten Wochen fast genau dieselbe Route eingeschlagen hatte wie damals mit Chloe, als er ein Kind gewesen war, das glaubte, beinahe ein Mann zu sein.
    Er spuckte in die Dunkelheit und sah zu, wie sein Speichel in einem Bogen in das schwappende, ölige Mittelmeer fiel. Dann stand er auf, wischte sich den Sand vom Hintern und schwang sich den Rucksack über die Schulter. Er fand eine Bar, die die ganze Nacht geöffnet hatte, setzte sich in die Ecke und trank Amstel, bis die Sonne aufging. Dann legte er einen Haufen Euromünzen auf den Tresen, wartete nicht auf sein Restgeld und trat hinaus, um die frühmorgendliche Fähre zu begrüßen. Seine Flipflops schlappten im Rhythmus seiner Schritte.
    Er sah der Fähre beim Anlegen zu. Sie war verrostet und schwerfällig und so verwittert wie ein Küstenfelsen.
    Schließlich spuckte sie blinzelnde, verstrubbelte junge Rucksackreisende auf die Anlegestelle: Amerikaner, Deutsche und Niederländer, Briten, Kanadier und Australier. Manche hatten noch das Webmuster des dreckigen Fährenteppichs im Gesicht.
    Nathan war einer von drei oder vier Leuten, die an Bord gingen. Er setzte sich in ein Fleckchen gleißendes Sonnenlicht, ließ sich von der Meeresbrise abkühlen und starrte am Rand eines Rettungsboots vorbei in das aufschäumende Kielwasser der Fähre.

    In Goa erlebte er eine hinduistische Bestattung. Der Leichnam, in weißen Stoff gehüllt und mit Rosen und Jasmin und Ringelblumen bekränzt, wurde auf einer Bahre zu einem Scheiterhaufen am Flussufer getragen. Er wurde mit den bedeckten weißen Füßen nach Süden auf den Scheiterhaufen gelegt – in die Richtung der Toten.
    Der Anführer der Trauergemeinde umrundete den Scheiterhaufen dreimal und besprengte ihn mit Wasser. Dann zündete er ihn an.
    Nathan betrachtete den brennenden Leib. Den parfümierten Rauch, der aufquoll und im Sonnenuntergang davonwehte. Die gelben Flammen. Den braunen Fluss.
    Er nahm seine Tasche und ging.
    Er flog in Delhi los und passierte erschöpft den britischen Zoll.
    Er stand auf dem englischen Flughafen und sah lächerlich aus in seinen Abiturientenklamotten – dieser Mann, der keine Ahnung

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