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Vergraben

Vergraben

Titel: Vergraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Cross
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Vertrieb und Marketing«, sagte Roy. »Willkommen zu Hause. Du wirst dich bald auskennen.«

    Roy hatte nicht unrecht gehabt. Wenn der moderne Verkaufsleiter nicht gerade unterwegs nach Swindon oder Edinburgh oder Birmingham oder Cardiff war, verbrachte er viel Zeit am Telefon und am Computer.
    Der moderne Verkaufsleiter verbrachte außerdem einen Großteil seiner Zeit mit Tätigkeiten, die nichts damit zu tun hatten, irgendjemandem irgendetwas zu verkaufen: Nathan nahm an wöchentlichen Marketing-Besprechungen teil und an wöchentlichen Marketing-Vorbesprechungen und an wöchentlichen Marketing-Nachbesprechungen, die mit verbitterter und aufgesetzter Professionalität »Post-Mortems« genannt wurden.
    Zusätzlich gab es vierteljährliche, halbjährliche und jährliche Verkaufsleistungsauswertungs-Besprechungen. Es gab monatliche Verkaufsprognose-Besprechungen. Es gab zweimonatliche regionale und nationale Verkaufsbesprechungen. Es gab zwei Verkaufskonferenzen. Es gab Einkäufer, die eingeladen werden mussten. Es gab Mittagessen und Abendessen und zahllose informelle Treffen. Es gab Karaoke in Sheffield und Gokart in Swindon.
    Die Vertriebsabteilung war auf eine Weise strukturiert, die Nathan nicht ganz verstand. Es schien landesweit vier Verkaufsdirektoren zu geben, von denen drei ausgebrannte, verbitterte Männer waren, die einem jüngeren Chef unterstellt waren, dessen Titel einfach Direktor (Vertrieb Großbritannien) lautete.
    Hinzu kam, dass die Verantwortlichkeiten von Vertrieb und Marketing sich auf unergründliche Weise überschnitten, was bedeutete, dass die Abteilungen sich immer gegenseitig beschuldigen konnten, wenn Budgets überzogen oder finanzielle Ziele nicht erreicht wurden, was ständig der Fall war. Demzufolge waren die Beziehungen zwischen Vertrieb und Marketing abwechselnd herzlich und unterkühlt.
    Zuerst genoss Nathan die Unsinnigkeit des Ganzen. Ihm wurden ein anfangs bescheidenes, jedoch zunehmend ansehnliches Gehalt sowie theoretische Boni dafür gezahlt, dass er stundenlang an einem Tisch saß und so tat, als kümmerte ihn die verspätete Lieferung von 5000 Osterkarten der neuen Kollektion an ein gottverlassenes Lagerhaus in East Anglia.
    Während die Wochen zu Monaten wurden, dann zu Jahren, überkam Nathan manchmal, wenn er sich morgens die Zähne putzte, ein Gefühl von Unwirklichkeit – aber bis er dann anfing seine Krawatte zu binden, war der Eindruck einer heiteren Farce wieder vergangen, und er sorgte sich darum, dass Norfolk (wie das Lagerhaus einfach und ahnungsvoll genannt wurde) die 55.000 Sonnenfinsterniskarten der neuen Kollektion, die zu spät aus der Druckerei gekommen waren und verspätet geliefert wurden, vielleicht nicht verkaufen konnte.
    Wenn er in sein Auto stieg, einen Omega, fürchtete er, dass die vorgeschlagenen neuen Kollektionen für übernächste Weihnachten nicht dem entsprachen, was die Marketingabteilung als Post-Millennium-Stimmung definiert hatte, oder dass die führende Schreibwarenhandelskette sich doch dazu entschloss, die neuen Jesus-Comic-Osterkarten an den Einzelhandel abzugeben, die erst vom Vorstand und dann von allen anderen Abteilungen so enthusiastisch befürwortet worden waren – und die ebenso selbstverständlich abgelehnt werden würden, wenn sie floppten.
    Er wusste, dass es Zeitverschwendung war, über so etwas nachzudenken, aber es war viel, viel besser, als an alles andere zu denken.
    Und dann, während der Wintervertriebskonferenz 2001, sah er Elises Familie im Fernsehen. Sie baten um Informationen, die zu Elises Rückkehr führen könnten.

12
    Er hatte sich einen ganzen Tag lang im überheizten Sitzungssaal eines Hotels den Hintern platt gesessen, um sich schlechte Präsentationen von Mitgliedern des Führungsstabs und des Aufsichtsrats anzuhören.
    Nathan frustrierte die Vertriebskonferenz jedes Mal – zum einen, weil er nicht selbst etwas präsentieren durfte, zum anderen, weil er sich am kollektiven Augenrollen und Auf-die-Uhr-Schielen der Handelsvertreter beteiligen musste, die sich berieseln ließen und nicht einmal mit halbem Ohr zuhörten.

    Die Sitzung endete um 16.45 Uhr. Im Foyer gab es Kaffee und Kekse für die Teilnehmer, die dann ein bis zwei Stunden Freizeit hatten, bevor sie in der Boleyn Bar zum Galadinner wieder zusammenkamen.
    Schwitzend und kribbelig vor Langeweile strömten alle bis auf die Führungsstabsmitglieder, die ausnahmslos vor Stolz über den Erfolg ihrer Reden zum Thema Saisonabhängigkeit: Abbild des

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