Verhängnisvolles Gold
Ich wäre besorgt und entsetzt. Ich würde mir gern vertrauen, aber wäre auch ein bisschen zurückhaltend, oder? Ich hätte Angst und würde nach winzigen Anzeichen von Verrat Ausschau halten. Das müsste ich auch, um mich nicht in Gefahr zu bringen. Das sind keine einfachen Probleme mit einfachen Lösungen. Es geht nicht darum, dass ich von Issie ein Kleid geborgt und es nicht wieder zurückgegeben oder bei Devyn abgeschrieben habe. Nein. Ich habe mich in einen Elf verwandelt. Ich könnte sie problemlos töten – nicht, dass ich das jemals tun wollte. Glaube ich wenigstens. Oder?
»Ich verberge nichts vor euch«, versuche ich sie zu überzeugen. »Ich bin immer noch ich. Ich bin immer noch Zara, die in Nick verliebt ist, eure Freundin, Mitglied eurer Gang. Okay?«
Cassidy seufzt tief: »Sie sind nur nervös, weil du …«
»Weil ich mich verwandelt habe. Ich weiß.« Meine Stimme ist sanft. »Ich dachte, ihr würdet mir vertrauen.«
»Aber das tun wir doch, Liebes, wirklich.« Issie lächelt gekünstelt. »Wir wissen einfach nur nicht, wie viel Einfluss er auf dich hat.« Sie löst eine Hand vom Lenkrad und zeigt nach hinten zu Astley.
»Keinen«, betone ich. »Er hat keinen Einfluss auf mich.«
Aber stimmt das auch? Wer bin ich wirklich? Bin ich immer noch derselbe Mensch, obwohl ich eigentlich gar kein Mensch mehr bin? Bin ich anders geworden, nur weil ich mehr Kraft habe? Immerhin habe ich immer geglaubt, dass große Menschen eine andere Sicht auf die Welt hätten als kleine, und dass die Kultur und die Umstände und die Entscheidungen, die man trifft, bestimmen, wer man ist. Da ich jetzt ein Elf und kein Mensch mehr bin, habe ich verändert, wer ich bin oder wenigstens, wer ich sein werde. Mein Kopf lehnt an der Nackenstütze und ich schließe die Augen.
»Oh-oh, Zara hat ihre existenzialistischen fünf Minuten«, sagt Cassidy.
Ich reiße die Augen auf. »Woher weißt du das?«
»Elfenblut.« Lächelnd klopft sie mit einem ihrer langen Fingernägel gegen ihre Schläfe.
»Entschuldigung? Was bedeutet ›existenzialistisch‹?«, fragt Issie.
»Also nach Kierkegaard«, beginnt Devyn in seinem super aufgeblasenen, belehrenden Ton, »ist ein Mensch ganz allein verantwortlich dafür, seinem oder ihrem Leben Bedeutung zu geben. Und er/sie sollte dieses Leben mit Leidenschaft und Ernst führen, trotz der schrecklichen Hürden, die sich ihr/ihm in den Weg stellen wie Verzweiflung, Langeweile, Angst, Elfen …«
»Ich hasse es, wenn Devyn ›er/sie‹ sagt«, flüstere ich Cassidy zu. Sie schnaubt.
»Und was hat das mit Zara zu tun?«, will Issie wissen.
»Ich meine einfach, dass Zara gerade auf sich selbst konzentriert ist und auf ihren Platz in der Welt«, erklärt Cassidy und legt den Arm um mich. »Und das ist angesichts der Umstände auch absolut verständlich.«
»Richtig«, stimmt Issie zu. »Außerdem hast du ein paar Tage lang den Unterricht versäumt und bist in Bio total hinterher. Und die Geländelauf-Mannschaft ist in der Krise, nachdem Ian und Magan weg sind und auch Nick und du …«
Schweigend holpern wir durch die Dunkelheit über Schlaglöcher und Frostbuckel. Straßen sollten ebene Pfade sein, gerade Wege zu Zielen, aber das sind sie nicht, oder? Das Leben ist auch nicht so. Ich lege den Kopf an Cassidys Schulter und lasse Issie zum Haus meiner Großmutter fahren.
»Wir müssen Astleys Mutter finden«, verkünde ich. »Sie weiß, wie man nach Walhalla kommt.«
Cassidy streicht mir über den Kopf. »Geil. Wir suchen im Netz.«
»Ein Name wäre hilfreich«, meint Devyn.
Ein Name. Klar, wir brauchen einen Namen.
Sie waren Monster. Wir wurden von Monstern angegriffen. Ich erinnere mich nur an blau und Zähne.
STATUS UPDATE, SUMNER-SCHÜLER
Fast die ganze Heimfahrt über reden wir über die Eskalation der Gewalt. Dass FBI -Agenten in die Stadt gekommen sind, um die Polizei vor Ort zu unterstützen, dass die Leute hier immer noch an einen Serienmörder glauben statt an paranormale Wesen, die sich an männlichen Jugendlichen vergreifen. Und weil wir die ganze Zeit darüber sprechen, dass wir etwas tun müssen, dass wir sie stoppen müssen, verdränge ich, dass ich bald Betty gegenüberstehen werde,
»Soll ich vorsichtshalber anrufen?«, frage ich, als Issie in unsere Zufahrt einbiegt. Panik macht meine Stimme ganz schrill. Betty ist kein einfacher Mensch. Sie ist zäh und wunderbar und direkt, aber nicht … einfach. Und sie war total dagegen, dass ich mich in einen Elf verwandeln
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