Verhängnisvolles Gold
schaut jemand?«, frage ich.
»Nö.«
Die andere Elfenfrau knurrt. »Gut. Wir gehen. Können wir das Fleisch mitnehmen?«
Sie zeigt auf den betrunkenen Jungen, der zu dem Tisch mit den Getränken zurückkriecht.
»Nein. Das war nur eine Warnung. Ich rate euch zu verschwinden, bevor ich meinem Pazifismus ganz abschwöre und euch töte. Sagt eurem kleinen König – wer ist überhaupt euer König?«
»Frank«, antwortet Barbie.
»Frank«, wiederhole ich und lasse den Namen auf mich wirken. Nicht mein biologischer Vater, sondern Frank. Frank, der all die Elfen meines Vaters frei ließ, die wir in dem alten viktorianischen Gebäude im Wald eingesperrt hatten. Frank, der meinen Freund Nick getötet hat. »Nun, sagt Frank, dass er einen lächerlichen Namen hat für einen Elfenkönig und sagt ihm auch, dass ich es nicht dulde, dass seine unbedeutenden Gefolgsleute Jugendliche an meiner Schule angreifen. Verstanden?«
»Und dass sie die vermissten Jungs zurückbringen sollen«, fügt Devyn hinzu.
In meinem Magen klumpt sich etwas zusammen. Es ist Angst. Ich schaue Devyn an. Was ist passiert, seit ich mich verwandelt habe? »Wie viele?«
»Zu viele, um sie zu zählen«, sagt das Achtzigerjahrekleid. »Die Leute hier sind so leicht zu kriegen. Und zu töten. Und in Angst und Schrecken zu versetzen. Sehr amüsant.«
Zorn kratzt in meiner Kehle. »Nie wieder. Sagt ihm: nie wieder. Die Menschen hier sind kein Spielzeug.«
Sogar ich höre die Drohung in meiner festen, klaren Stimme. Ein Trommelwirbel, der von Krieg kündet, rauscht durch die Luft.
Das Achtzigerjahrekleid antwortet nicht, dafür spricht ihre Freundin: »Wer bist du, dass du Frank zu sagen wagst, was er zu tun hat?«
Gute Frage. Ich schiebe Barbie zum Notausgang und suche nach einer schlagfertigen Antwort. Aber bevor ich etwas sagen kann, antwortet Devyn für mich, fast als wäre er stolz darauf, dass ich mich verwandelt habe: »Sie ist Zara White, eine Elfenkönigin.«
Das Leben in der kleinen Küstenstadt in Maine geht seinen gewohnten Gang. Obwohl acht Jungen vermisst werden, feierten die Jugendlichen des Ortes heute Abend an der Highschool den alljährlichen Winterball.
– NEWS CHANNEL 8
Nachdem die beiden Elfenfrauen draußen vor der Tür entsorgt sind, suchen Devyn und ich Issie und Cassidy, die vor den Toiletten auf uns warten. Devyn mustert mich weiterhin aus dem Augenwinkel, aber vielleicht traut er mir ja jetzt ein bisschen mehr, nachdem ich die Elfen abgefertigt habe. Dass ich mich dabei weder blau verfärbt noch in ein wildes Tier verwandelt habe, macht mich ein bisschen zuversichtlicher, was meine neue Identität betrifft. Aber eigentlich weiß ich gar nicht, was es bedeutet, ein Elf zu sein. Ob sich dadurch auch mein Inneres verändert hat, der Teil, in dem meine Seele sitzt, der pazifistische Teil von mir?
»Ist in der Cafeteria eine Katastrophe passiert?«, fragt Is, während sie, Cassidy und ich die leere Toilette betreten. »Gibt es Tote? Bitte sag mir nicht, dass alle tot sind.«
»Niemand ist tot«, sage ich seufzend und fasse mir an den Kopf. »Nur meine Frisur ist hinüber.«
Vor dem Spiegel erzähle ich ihnen, was passiert ist. Cassidy schlingt meine Haare zu einem wirren Knoten, während Issie an dem angetrockneten Blut an meinem Arm herumrubbelt. Im Spiegel betrachte ich die dunklen Ringe unter meinen Augen und mein erschöpftes Gesicht. »Ich sehe furchtbar aus.«
»Nein«, lügt Issie. Ihre Unterlippe zittert, deshalb weiß ich, dass sie lügt.
Cassidy packt mich von hinten an den Schultern und stützt ihr Kinn auf meinen Kopf: »Du siehst aus wie eine Kriegerin.«
»Ja!«, stimmt Issie zu. »Eine ein bisschen zu kurz geratene Kriegerin. Eine Elfenkriegerin.«
Es entsteht eine unbehagliche Pause.
»Fühlst du dich anders?«, fragt sie jetzt mit einer viel sanfteren Stimme. »Jetzt, wo du ganz und gar … du weißt schon …«
»Ja«, nicke ich. »Stärker. Ich fühle … ich rieche besser … als ob meine Sinne schärfer wären …, aber ich fühle mich auch viel reizbarer, verstehst du? Als ob ich wegen jeder Kleinigkeit ausrasten könnte.«
»Besonders wenn sich bösartige Elfenfrauen an Mitgliedern der männlichen Schülerschaft vergreifen?«, schlägt Issie vor.
»Ja, besonders dann«, stimme ich zu, während ich mir Cassidys Wimperntusche borge. So was sollte man eigentlich nicht tun, aber bei meinem irrwitzigen Leben kommt es auf dieses besondere Gesundheitsrisiko auch nicht mehr an. »Nicht zu fassen.
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