Verico Target
natürlich nicht
wahr sein konnte; man konnte wohl kaum ein Studium in Mikrobiologie
abschließen, ohne überragend klug zu sein. Aber Judy
schaffte es einfach nicht, weiterzustreiten. Bens Finger zeichneten
kleine Wirbel in ihre Handfläche. Er war stets ein
großzügiger Sieger – und zwar bei jeder Art von Sieg.
Eine gute Taktik. Ben war ein überzeugter Anhänger von
guter Taktik.
Judy blickte aus dem Hotelfenster hinab auf Las Vegas. Das Hotel
stand nicht direkt auf dem Strip, aber das half auch nicht viel.
Zusammen mit Ben war sie zu wissenschaftlichen Konferenzen auf der
ganzen Welt gereist, und sie hielt Las Vegas für die
häßlichste Stadt, die sie je zu Gesicht bekommen hatte.
Grell und kaltblütig briet sie in der Sonne wie eine
aufgeblähte, irisierende Eidechse. Selbst Oslo war besser
gewesen. Im Winter.
Ben sagte: »Ich habe nur deshalb so ausführlich mit
Anita gesprochen, weil sie sich als kleine Forschungsassistentin fehl
am Platz und wie erdrückt fühlte von all diesen
großen Namen.«
»Mein Mann, der Menschenfreund.«
Er grinste. Er mochte sie sarkastisch und nicht als Klageweib.
Auch sie selbst mochte sich besser so – aber merkte er denn
nicht, daß ihr Sarkasmus nach zwölf Jahren Eifersucht
schon reichlich fadenscheinig wurde?
Vermutlich grundlose Eifersucht, betonte sie innerlich. Weil ihr
nie irgendein Grund dafür bekanntgeworden war. Weil sie sich
auch nie sonderlich bemüht hatte, einen zu entdecken.
- nur vier Gründe, etwas zu tun. Weil man es
will…
Sie zwang sich zu fragen: »Wer hält denn heute
nachmittag noch einen Vortrag? Außer dir?«
»Sid Leinster. Von der Washington University. Ich werde ihn
vom Podium fegen.«
Zweifellos würde er das, ganz egal, worum es sich bei
Leinsters Abhandlung drehte. Ben würde ein höchst
bedeutsames Forschungsprojekt des Whitehead-Instituts für
biomedizinische Forschungen am Massachusetts Institut of Technology
vorlegen – mit allem Prestige, das allein diese Namensnennung
mit sich brachte. Und laut dem Frühjahrs-Mitteilungsblatt des
Instituts für wissenschaftliche Information, das solche Dinge
regelmäßig erhob, stand Ben in der Liste der
meistzitierten Genetiker des Landes an dritter Stelle. Darüber
hinaus würde sich der heutige Vortrag mit dem brandaktuellen
Thema der Gentherapie beschäftigen, bei dem selbst die miesesten
Presseerzeugnisse die Ohren spitzten. Manipulationen an lebender DNA!
Die gefürchtetsten Krankheiten zu heilen, indem man die Gene
verändert, die sie verursachen! Gottes Originalentwürfe
umzukrempeln! Aber Gott hatte auch nicht den Vorteil einer
3,5-Millionen-Dollar-Subvention der staatlichen
Gesundheitsbehörden…
Doch das war nicht die ganze Wahrheit, zwang Judy sich
einzugestehen. Selbst wenn Ben von der biologischen Fakultät der
Universität Krähwinkel käme und über die Ursachen
von Fußpilz referierte, hätte er alle Aufmerksamkeit auf
sich gezogen. Er besaß diese wertvollste Gabe der
wissenschaftlichen Forschung: einen unfehlbaren Riecher für die
brandaktuelle Fährte. Und dazu die zweitwertvollste Gabe –
die Fähigkeit, die finanziellen Mittel zur Verfolgung dieser
Fährte aufzutreiben. Und wenn sie schon dabei war, seine Gaben
aufzuzählen, dann konnte sie ebensogut die dritte dreinwerfen:
die absolute Integrität, was seine Arbeit anging. Wenn Ben
sagte, daß dieses Projekt von allerhöchster Bedeutung war,
dann war es das. Wenn es seine Arbeit betraf, dann übertrieb er
nie, mogelte er nie, gab er keine voreiligen Erklärungen ab,
versagte er anderen nie seine Anerkennung und erlaubte sich nie auch
nur eine einzige der vielfältigen geringfügig falschen
Angaben, die im Auge des Idealisten die moderne, staatlich
subventionierte Wissenschaft besudelten. Er lechzte nach
Aufmerksamkeit, das ja, aber seine Forschungsarbeit war stets
ehrlich, fähig und von Bedeutung.
Das waren die Dinge, an die sie dachte, wenn sie Stunde um Stunde
im Ehebett wachlag, in diesen Nächten, in denen er nicht nach
Hause kam.
Ben stand immer noch neben ihr und lächelte auf sie herab.
»Bist du sicher, daß du nicht mitkommen und hören
willst, wie ich über Hüllproteine in retroviralen Vektoren
referiere? Deine letzte Chance, Schatz!«
»Ich kann nicht! Ich kann nicht. Du weißt, das ist der
einzige Termin, den Ressman mir geben wollte.« Doktor James
Ressman, Leiter des Büros der Atomenergiekommission auf dem
Luftwaffenstützpunkt Nellis, gewährte nur
äußerst selten den
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