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Verico Target

Verico Target

Titel: Verico Target Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Vortrag. Ja, wunderbar. Großartig.
Komm schon, Judy, laß uns gehen!«
    Er packte ihre Hand und zog sie aus der Bar. Im Aufzug starrte er
die blinkenden Lämpchen an, als wären sie ein genetischer
Code.
    Vor langer Zeit, in der fünften Klasse der ›Schule der
Schwestern des Heiligen Namens‹, hatte Schwester Maria Josepha
sich einmal geweigert, Judy zu verraten, was es gewesen war, das sie,
Judy, falsch gemacht hatte. Die Schwester hatte ihr einfach den Weg
zu dem Stuhl in der Ecke gewiesen, wo Judy die nächsten
dreißig Minuten in schamroter Ungnade verbrachte, ohne zu
wissen, für welche Sünde. Das Nichtwissen war schlimmer als
die Scham. »Siehst du es jetzt ein?« hatte die Schwester
hinterher leise zu ihr gesagt. »Nichtwissen tötet unseren
Lebensmut. Warum hast du also Peggy nicht gesagt, auf welcher Seite
die Mathematikaufgabe zu finden ist, als sie dich danach
fragte?«
    »Weil ich nicht wollte«, hatte Judy wutentbrannt
geantwortet, weil diese kleine Petzerin Peggy getratscht hatte.
Schwester Maria Josepha hatte nicht argumentiert, nur traurig
gelächelt. Aber in der Pause hatte Judy Peggy alle Antworten
für die Hausaufgaben in Gemeinschaftskunde überlassen und
dazu noch den Schokoladeriegel vom Mittagessen. Nichtwissen
tötet unseren Lebensmut.
    Sie sah Ben an, der die aufblitzenden Stockwerkslämpchen
ansah, und ihr Herz fing an, in einem langsamen methodischen Rhythmus
gegen die Rippen zu hämmern.
    »Judy«, sagte er im Zimmer zu ihr, »was
würdest du dazu sagen…«
    »Ich würde sagen, ich bestelle das Abendessen«,
erklärte sie mit fester Stimme. Um Zeit zu gewinnen.
    »Das ist zu wichtig, um… na gut, ist recht, bestell
für uns beide.« Er verschwand im Bad.
    Sie bestellte Shrimpcocktails, Steaks mit Folienkartoffeln,
gebratene Zucchini, Wein, Kaffee und Schwarzwälder Kirschtorte.
Ben kam mit frisch gebürstetem Blondhaar und perfektem
Krawattenknoten aus dem Bad. Wie vor einem Vortrag. Sie ließ
sich in dem karierten Lehnsessel nieder und verschränkte die
Hände im Schoß.
    »Judy, was würdest du dazu sagen, in New York zu leben,
näher zu deinen Eltern in Troy? In einem schönen
großen Eigentumsappartement an der Upper East Side, mit einer
eigenen Haushälterin? Wenn wir endlich damit anfangen
könnten, eine echte Familie zu gründen?«
    Judy blies den angehaltenen Atem aus. Was auch immer sie erwartet
hatte, dies gehörte nicht dazu.
    »Wie… wer…?«
    »Man hat mir eine Stelle angeboten.« Ben setzte sich auf
die Bettkante und grinste sie an. Seine blauen Augen blitzten und
funkelten. »Die Chance meines Lebens!«
    »Du würdest vom Whitehead weggehen? Aber es ist doch das
renommierteste Genforschungsinstitut in…« Sie brach ab.
Nein, nein. Das Angebot konnte nicht vom Centre d’etudes du
polymorphism humain kommen. Er hatte New York gesagt, nicht
Paris.
    »Es gibt nur sehr wenig, was mich auch nur daran denken
ließe, das Whitehead zu verlassen. Aber das hier ist nicht sehr
wenig. Es ist, ganz im Gegenteil, alles. Ich hätte die komplette
Forschungsabteilung unter mir, dazu ein effektiv
uneingeschränktes Budget, eine prozentuelle Gewinnbeteiligung
und das Gehalt… Es ist ein Unternehmen für
Biotechnik.«
    Judy riß die Augen auf. Seit das ›Human Genome
Project‹ damit begonnen hatte, die Anordnung der menschlichen
Gene zu entschlüsseln, waren die kommerziellen Biotechfirmen nur
so aus dem Boden geschossen. Die meisten davon beschäftigten
sich mit umfangreichen Sequenzierungen, indem sie die Pläne der
Genanordnung, für welche das Projekt bahnbrechende Arbeit
geleistet hatte, immer weiter verfeinerten. Die konservativeren von
ihnen befaßten sich mit den Möglichkeiten der
Krankheitsbekämpfung. Aber Judy wußte, daß etliche
Firmen auf der Suche nach wie immer gearteten lukrativen
Anwendungsmöglichkeiten, welche sich aus den jüngsten
Entdeckungen auf dem Gebiet der Mikrobiologie ergeben konnten, die
Grenzen überschritten und sich auf unbekanntes Terrain
vorwagten. Und das ganz besonders, seit das Bundesgericht entschieden
hatte, daß Entdeckungen auf dem Gebiet der Genetik patentierbar
waren. ›Freibeuter der Forschung‹ hatte Ben sie einmal
genannt.
    »Aber du hast doch immer gesagt, du würdest nie eine
Stellung annehmen, die…«
    »Laß mich ausreden. Bei dieser Firma stünde es mir
frei, Experimente um ihrer selbst willen durchzuführen, meine
eigenen Wege zu gehen, die nur meine Forschungen mir weisen…
Diese Leute sind nur an langfristigen Resultaten

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