Verico Target
Flugzeug steige und irgendwohin fliege,
wo gerade ein Fall wartet. Ich sehe es in den Zeitungen, von denen
ich jeden Tag drei lese, von der Titelseite bis zu den
Stellenanzeigen. Ich brauche keinen Urlaub!«
»Herrgott, es muß doch etwas geben, das Sie
interessiert!«
»Mich interessiert die Pflege von Recht und Gesetz. Und die
sorgsame Pflege der Rechtsmaschinerie.«
»Dann gehen Sie doch in irgendein Museum und sehen Sie sich
dort die sorgsam gepflegte Rechtsmaschinerie an!«
Und das hatte Cavanaugh getan. In einem Reiseführer hatte er
entdeckt, daß im obersten Stockwerk der Faneuil Hall die
Sammlung antiker Artillerie mit Waffen und Artefakten der
ältesten Bürgerwehr des Landes untergebracht war, eine
Außenstelle des Museums von Massachusetts. In Boston. Und das
würde ihn in eine Nähe von Natick bringen, die eine
halbwegs vertretbare Erklärung für einen Besuch abgeben
sollte. Vertretbar für jemanden, der zufällig dort
durchkam. Im Urlaub.
»Also gut«, sagte er zu Felders. »Ich nehme
Urlaub.«
Und jetzt saß er vor dem McDonald’s an der Raststation
Ludlow und war niedergeschlagener als je zuvor in seinem ganzen
Leben.
»Es ist immer noch irgendwo da draußen,
Marty.«
»Ich weiß«, hatte Felders sehr leise gesagt.
»Ich weiß. Und Duffy weiß es auch und Deming und
vermutlich sogar der Direktor. Aber auch wenn wir da noch einen Fall
hätten, wäre nicht gesagt, daß wir es aufhalten
könnten. Selbst wenn wir ein Dutzend, zwei Dutzend, zwei hundert Leute hinter Gitter steckten, könnte die
Information selbst weiterhin da draußen sein.
Irgendwo.«
»Aber ich würde mich besser fühlen, wenn wir
zweihundert Dutzend von ihnen hinter Gitter gesteckt
hätten«, sagte Cavanaugh. »Dann hätten wir
wenigstens irgend etwas getan.«
»Scheuklappensicht, Bob.«
»Ich weiß. Aber zumindest hätten
wir…«
»Geben Sie’s auf, Bob. Nehmen Sie Ihren
Urlaub.«
Cavanaugh trank die Cola. Noch hundertzwanzig Kilometer bis
Natick. Er hatte seinen Besuch nicht angekündigt. Warum
nicht?
Na, so eben.
Er fragte sich, ob sie wohl auch unter Alpträumen litt. Nun,
bei ihr war es zu erwarten. Nichts von alledem – ein Mord, die
Entführung, die Schießereien – hatte in ihrem Leben
etwas zu suchen. Wie bei den meisten Menschen war so etwas nicht
vorgesehen.
Und er hatte zum erstenmal im Leben Alpträume.
Cavanaugh knüllte den angebissenen Big Mac und die Fritten in
ihren fettigen Papierbehältern zusammen und trank die Dose leer,
in der Hoffnung, daß möglichst viele Kalorien darin
steckten. In den letzten beiden Monaten hatte er zehn Pfund
abgenommen.
Vom Parkplatz kam ein Mann auf den Tisch zu, an dem Cavanaugh
saß. Automatisch ließ er den Blick über die
abgestellten Fahrzeuge wandern, um zu erraten, zu welchem Wagen der
Typ gehörte. Vermutlich zu dem blauen Cavalier; anspruchslos,
billig. Der Mann war klein, nicht einmal einssiebzig, schmal und
jung. Obwohl es schwer festzustellen war, denn der Mann trug
Sonnenbrille und Baseballkappe.
»Robert Cavanaugh?«
»Ja?«
Der Mann stieg nervös von einem Fuß auf den anderen.
Cavanaugh musterte ihn eingehender. Keine Ausbeulung unter der
hellblauen Windbluse oder den enganliegenden Jeans.
»Agent Cavanaugh? Vom FBI?«
»Ja.«
»Ich muß mit Ihnen reden.« Ein aufgeregtes Lecken
über die Lippen, ein Seitenblick zur Schnellstraße.
Cavanaugh spürte, wie ein Räderwerk in seinem Hinterkopf
zu surren begann. »Fangen Sie an. Ich höre.«
»Nicht hier. In Ihrem Wagen. Oder in meinem. Nein, in
Ihrem.«
Einen Augenblick lang wog Cavanaugh die Risiken ab. Sein
Gefühl sagte ihm, daß dieser Typ kaum wußte, was er
tat; der Mann war einfach zu unruhig, um ihn in eine Falle locken zu
wollen. Cavanaugh hielt sich an sein Gefühl.
In seinem Wagen sagte er: »Nehmen Sie die Sonnenbrille und
die Kappe ab.«
Der Mann tat, wie ihm geheißen. Er war Mitte zwanzig und
hatte schon jetzt den kurzsichtigen Blick und den frühzeitig
zurückweichenden Haaransatz, die Cavanaugh beide mit einer
bestimmten Art von Student assoziierte: zielstrebig, hingebungsvoll,
spießig und blitzgescheit. Die Rädchen in Cavanaughs Hirn
surrten schneller.
»Sie kennen mich nicht. Ich versuche seit einem Monat, an Sie
heranzukommen. Mein Name ist Saul Kirchner.«
Kirchner. Forschungsassistentin Miriam Ruth Kirchner. Cavanaugh spürte, wie sich seine Finger um das Lenkrad
krampften, und er zwang sich, sie zu lockern.
»Miriam Kirchner ist meine Cousine. Also –
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