Verirrte Herzen
zu. Sie wollte sich nicht vor Lilly streiten.
Caro nickte einsichtig. Sie nahm Annes Hand, um sie zu besänftigen.
Sofort durchfloss Anne ein warmer Strom. Sie konnte Caro nie lange böse sein. Außerdem hatte sie ja inzwischen selbst erlebt, wie schnell man die Zeit vergessen konnte, wenn man in seine Arbeit vertieft war. Sie lächelte Caro an und signalisierte ihr, dass sie ihre Entschuldigung annahm.
»Wie war der Start in deine zweite Woche?« erkundigte sich Caro, während sie an ihrem Cappuccino nippte.
»Heute war wirklich ein guter Tag. Ich darf mich jetzt eigenständig um die Patienten und Patientinnen kümmern. Herr Kleinemann meint, dass ich trotz der langjährigen Pause wohl nichts verlernt habe.« Anne strahlte über beide Ohren.
»Und wie war es bei dir?« wandte sich Caro Lilly zu, die mittlerweile das allerletzte Eis aus ihrem Becher gekratzt hatte.
»Ich habe heute geknetet«, verkündete Lilly stolz. Ihre kleinen Hände begannen dabei sofort die Luft zu formen.
»Das klingt ja ganz toll. Vielleicht sollten wir dir für zu Hause auch Knete kaufen. Was meinst du?«
Ein Leuchten breitete sich über Lillys Gesicht aus. »Ja. Dann zeige ich euch, wie man ein Pferd macht.«
»Jetzt muss ich aber leider schon wieder los. Das war eine wirklich schöne Mittagspause«, verabschiedete sich Caro.
»Schade, aber in Ordnung. Dann gib mir bitte eben die Einkäufe für heute Abend. Nicht, dass wir es noch vergessen«, scherzte Anne und grinste Caro an.
Doch Caro erwiderte ihr Grinsen nicht. Das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. Ihre Miene erstarrte. »Oh Gott, ich habe es vergessen«, stotterte sie.
Anne seufzte tief und ließ resigniert ihre Schultern hängen. Es hatte keinen Sinn, sich darüber aufzuregen. Hatte sie eigentlich etwas anderes erwartet?
»Ich verspreche dir hoch und heilig, dass ich gleich alles besorgen und heute Abend rechtzeitig zu Hause sein werde, bevor deine Eltern kommen.« Aus Caros blauen Augen sprach die flehende Bitte, ihr diese Vergesslichkeit zu verzeihen. Vorsichtig versuchte Caro ihre Arme um Anne zu legen. »Ich weiß, manchmal kannst du dich viel zu wenig auf mich verlassen. Aber du kannst mir vertrauen, ich werde mich ändern. Ich liebe dich«, flüsterte Caro Anne zärtlich ins Ohr.
Caros liebevolle Berührungen ließen Annes Herz schneller schlagen. Sie glaubte ihr. Niemals zuvor hatte sie einem Menschen so sehr vertraut wie Caro. Sie war sich ganz sicher, dass dieses Vertrauen gerechtfertigt war. Wenn sie Caros Hilfe wirklich benötigte und es wichtig war, ließ Caro alles stehen und liegen, um ihr beizustehen.
Anne strich über Caros blonde Haare, die zu einem Zopf gebunden waren und erwiderte leise: »Ich vertraue dir.«
Gemeinsam verließen sie die Eisdiele.
Schon um kurz nach fünf breitete Caro den Inhalt ihrer zwei großen Einkaufstüten auf dem Küchentisch aus. Sonnengetrocknete Tomaten, gegrillte Zucchini und Champignons in Essig und Olivenöl eingelegt, mit italienischem Frischkäse gefüllte Artischocken, Paprika mit Thunfisch und schmackhafte grüne Oliven verströmten ein würziges Aroma.
Gerade stellte sie einen italienischen Rotwein auf den Tisch, als Anne sie von hinten umarmte. Ihre Hände ließ sie auf Caros Bauch ruhen, und sie spürte, wie sie sich mit Caros gleichmäßigem Atmen hoben und senkten.
»Schön, dass du es geschafft hast«, hauchte sie verliebt in Caros Ohr. »Das sieht wirklich gut aus. Meine Eltern werden begeistert sein.« Anne drückte ihre Wange gegen Caros Wange. Sie fühlte die warme, weiche Haut, nahm Caros einladenden Duft wahr. Anne schloss die Augen. Ein glückliches Lächeln zeichnete sich auf Caros Lippen ab.
Gemeinsam drapierten die beiden Frauen die Antipasti auf großen Platten und deckten dann den Wohnzimmertisch. Es sollte ein gemütliches Beisammensein werden.
Gerade, als Anne die Rotweinkelche zurechtrückte, klingelte es.
Lilly stürmte zur Tür. Sie freute sich schon den ganzen Nachmittag auf ihre Großeltern und konnte es kaum mehr erwarten.
»Oma.« Lilly sprang an der grauhaarigen Mittfünfzigerin hoch, die die gleichen Locken wie ihre Enkelin hatte, nur etwas kürzer geschnitten, und ließ sich von ihrer Oma Heide auf den Arm nehmen.
»Kommt doch rein«, begrüßte Anne ihre Eltern.
Franz, Annes Vater, umarmte erst seine Tochter und anschließend Caro herzlich. Sein Schnauzbart kitzelte ihre Wangen. Dann trat er ins Wohnzimmer. Seine Frau folgte ihm mit Lilly, die immer noch an ihrem Hals
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