Verkehrte Welt
Tom nicht sagen konnte. Seit drei Monaten hatte sie nun ein Verhältnis mit Deutschlands größter Schauspielhoffnung im Fach »grenzdebiler Womanizer«.
An der Kino-Bar wollte Tom gerade ein Corona-Gold den Behälter wechseln lassen, als er hinterrücks angerempelt wurde. Jemand krallte sich an ihm fest und riss ihn mit zu Boden. Das Bier verschwand zunächst im tiefen Ausschnitt der attraktiven Umfallverursacherin, um dann dortselbst allerliebst aufzuschäumen. »Ich liege auf einer Frau mit Biertitten«, musste Tom denken. Noch nie hatte er Rudi Assauers Bierwerbung »Nur gucken, nicht anfassen« als so lebensnah empfunden.
»Ich fürchte, ich kann nicht aufstehen«, stöhnte er so überzeugend er konnte, »Bandscheibenvorfall!«
Tom war kerngesund, aber fest entschlossen, diese bisher mit Abstand reizvollste Position des Tages noch nicht aufzugeben, und da konnten Schuldgefühle gute Dienste leisten.
»Och, das ist kein Problem«, rief die Bierkönigin und strahlte ihn an, »ich bin Chiropraktikerin, das haben wir gleich!«
Mit einer ungemein kraftvollen und doch anmutigen Drehung schleuderte sie Tom von sich herunter, Sekundenbruchteile später war sie über ihm und begann, ihr Repertoire abzuspulen. Männer weinen nicht, erinnerte sich Tom, aber von Schreien ist nichts erwähnt.
Einen gefühlten Horrorfilm später hörte er sie wie durch Watte hindurch sagen: »Die gute Nachricht zuerst: Sie hatten keinen Bandscheibenvorfall, und jetzt die schlechte: Sie werden gleich einen haben, weil Sie mich angelogen haben, Sie notgeiles Stück Scheiße!«
Mit einem Mal erwachte in Tom der erfolgreiche Staranwalt, der er war, Spitzname: der Totbeißer.
»Moment, Gnädigste«, schnappte er und klang wie Kinski auf Ecstasy, »wer hat mich denn hinterrücks zu Boden gerissen und anschließend misshandelt? Ich denke, die Überwachungskameras werden kaum einen Richter annehmen lassen, dass ich das selbst war!«
»Mir ist der Absatz abgebrochen, und ich habe das Gleichgewicht verloren und an Ihnen Halt gesucht. Vergeblich, wie sich dann herausstellte«, maulte sie, schon eine Spur versöhnlicher.
Tom und Irina sind mittlerweile glücklich verheiratet, was man von Isabell, Toms Ex, und Hajo Wertmann nicht sagen kann, aber sie machen sich's auch richtig nett.
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ERLEBNISGASTRONOMIE
Es gibt Lokale, die mit ihrem Namen frohe Erwartungen wecken. Das »Eremitage« war so eines. Ein kleines Restaurant in ländlicher Abgeschiedenheit. Üppie, mein schwuler Herzensfreund, hatte es mir empfohlen. Üppige, liebevoll gepflegte Blumenarrangements in der Auffahrt, im Terrassenbereich und auch im Inneren des kleinen Hauses, während das Interieur eine schlichte Würde atmete. Der Chef selbst empfing mich, wies mir einen netten Platz am Fenster zu und legte Speise- und Getränkekarte auf den eingedeckten Tisch. Auf der mit »Recommandation du Chef« überschriebenen Tafel neben dem Eingang hatte ich zwei Menüs gelesen, Sauerbraten vom Pferd und Forelle Müllerin Art standen zur Wahl.
»Oh, ich weiß schon, was ich nehme, die Forelle bitte«, sagte ich ihm rasch, weil ich dadurch die Zeit zu verkürzen hoffte, die bekanntermaßen vergeht, bis ein frisch zubereitetes Chefmenü die brodelnden Magensäfte beruhigt. Er lächelte mich wissend an, als hätte ich die einzig richtige Wahl getroffen, brachte umgehend das Mineralwasser und verschwand in der Küche. Es herrschte absolute Ruhe, außer dem Vogelgezwitscher draußen war kein Laut zu hören, und ich war der einzige Gast. Wie es sich gehört für eine Eremitage, dachte ich vergnügt und überlegte, wie es wohl wäre, mal ein Jahr lang ganz allein zu leben, als ich ein Auto die Einfahrt lautlos hinabrollen sah. Darin der Restaurant-Chef. Er hatte offensichtlich darauf verzichtet, den Motor anzustellen. Wie rücksichtsvoll von ihm. Kurz danach hörte ich ein Klappern aus Richtung Küche, und eine junge Kellnerin kam mit einem großen Tablett an meinen Tisch und stellte einen Teller mit einem gefalteten Blatt aus handgeschöpftem Büttenpapier vor mich.
»Was ist das?«, fragte ich verblüfft. Sie lächelte freundlich und zeigte mir eine Karte, auf der stand: »Ich bin stumm, und das ist ein kleiner Gruß aus der Küche.« Dann entschwand sie.
Ich entfaltete das Blatt und las: »Alles hat ein Ende nur die Wurst hat zwei.«
Aha, dachte ich, hier sind nicht nur Schöngeister,
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