Verkehrte Welt
sondern auch Witzbolde am Werk. Ein Glückskeks ohne Keks sozusagen, mal was anderes. Aber ein Brotkorb mit einem schönen Schnittlauchquark und einem Griebenschmalz als Aufstrich vorweg wäre auch eine feine Sache gewesen. Ich trank ein Glas Mineralwasser auf ex. Mittlerweile hatte sich eine dichte Wolkendecke vor die Sonne geschoben, das Lokal wirkte mit einem Mal auch kühler, ich musste unwillkürlich an eine Kapelle denken, so eine, in der man von einem geliebten Menschen Abschied nimmt. Und aus der Küche war absolut kein Geräusch zu hören.
Plötzlich stand ein Kellner neben mir. Ich erschrak fast zu Tode. »Sind Madame bereit für den ersten Gang?«, fragte er. Ich nickte verwirrt.
»Et voilà«, rief er, »erster Gang: verlorene Eier.«
Dann schritt er zu einem schönen alten Stutzflügel an der Wand, klappte den Deckel auf, nahm Platz, sang und spielte: »Ich wollt ich wär ein Huhn, ich hätt nicht viel zu tun. Ich legte vormittags ein Ei, und abends wär ich frei.« Es folgten alle fünf Strophen. Währenddessen zogen sämtliche aus Eiern herstellbaren Gerichte vor meinem geistigen Auge vorbei.
Mein Applaus für ihn ging mir mit leerem Magen ein wenig schwer von der Hand und wurde zudem von dessen Knurren übertönt. Er schaute mich jedoch fröhlich an und sagte mit einer leichten Verbeugung und conferencieresker Betonung: »Freuen Sie sich jetzt - auf das junge Gemüse!«
Aus der Küchen-Schwingtüre fielen zwei »Alaaf« brüllende Typen heraus, die sich als Gemüse kostümiert hatten, und stürmten an meinen Tisch.
»Darf ich vörstellen, dä Zwiebel«, sagte die Gurke, zog dabei ihr grünes Käppchen und zeigte damit auf das Knollengewächs neben sich. Das brüllte ebenfalls in lupenreinem Kölsch: »Stell dir ens vör: de Jurke!«, und zeigte mit seiner Ziehharmonika auf den Kumpanen. Dann schmetterten sie los:
»Erbsensuppe ist ein Essen,
das wohl jedem schmeckt.
Dreimal hoch noch heut dem Manne,
der sie hat entdeckt.
Einmal im Monat dann ladet der Verein
alle seine Freunde zur Erbsensuppe ein.
Wer hat noch nicht, wer will noch mal?
Es ist noch Suppe da, es ist noch Suppe da!
Es ist noch Suppe da, es ist noch Suppe da!«
Nach dem letzten Ton zogen beide ihre Mützen ab und hielten sie mir erwartungsvoll grinsend hin.
Ich stand auf und schmetterte: »Wer soll das bezahlen, wer hat das bestellt?« Sang's und verließ das gastliche Haus.
Das hinter mir her gebrüllte »Warten Sie, Herr Elstner wollte das Ganze doch noch auflösen!« ignorierte ich, fuhr auf dem Gaspedal stehenden Fußes zur Imbissbude meines Vertrauens, verdrückte mit nachgerade atavistischer Gier zwei extrascharfe Currywürste mit Pommes Schranke, flaschbiergestützt, versteht sich. Nach dem Verdauungsdoppelwacholder sang ich mit dem Wirt noch zweistimmig Grönemeyers »Currywurst«, und während ich in anmutigen Schlangenlinien heimwärts fuhr, flog mich folgender Vers an: Musik ist schön beim Essen, Walzer, Gospel, Marsch, doch Musik stattdessen, dat is total fürn Arsch. Das hab ich dann noch meinem Freund Üppie vorgesungen am Telefon, um 3 Uhr morgens.
Dieses eBook wurde von der Plattform libreka! für Leipzig 2011 mit der Transaktion-ID 1075178 erstellt.
DER BIBELCODE
Seitdem meine Frau einen Laptop zum Geburtstag geschenkt bekommen hat und fleißig Handbücher studiert, fließen ihr immer öfter die gängigen Anglizismen der IT-Branche über die Lippen. Neulich fragte sie mich beim Frühstück beiläufig: »Du, Ernst, sag mal, ist das Neue Testament eigentlich ein Upgrade vom Alten?«
»Schatz, das ist jetzt eine Katachrese, so nennen wir Germanisten ein schiefes Bild. Upgrade kann verschiedene Bedeutungen haben, es gibt Ticket-Upgrades, bei der Bahn oder im Flieger, wenn man von der zweiten in die erste Klasse wechselt, dann gibt's im Computerwesen Hardware-Upgrade und Software-Upgrade. Ich nehme mal an, das meintest du mit deinem Bibelvergleich, und der ist eben schief, weil die Bibel ja auch eine Art Geschichtsbuch ist, und so gesehen ist das Neue Testament die Fortsetzung des Alten, Part two, wenn du so willst, im Buchhandel würde man von einem follow-up sprechen.«
»Jetzt pass mal gut auf, du Germanisten-Arsch!«, rief meine kleine Frau, »wenn du weiterhin den Oberlehrer spielen willst, dann such dir gefälligst andere arme Idioten und verschone mich mit deinem Klugscheißer-Geschwätz. Wir haben keine Freunde mehr, niemand kommt uns mehr besuchen, nicht mal deine Mutter. Außerdem sitzen wir
Weitere Kostenlose Bücher