Verkehrte Welt
schon.«
»Da könnten Sie recht haben, obwohl mir det bis hier steht«, erwiderte Wuttke, stand auf und gab ihr die Flasche. »Ick würd höchstens noch mal da seitlich über die Ränder sprühen«, wies er sie an, »und verjessen Se nisch zu lüften, wa«, erinnerte er sie beim Rausgehen.
Jessica stürmte in ihre Küche, stellte die Flasche auf den Tisch, holte einen Cognacschwenker, schraubte den Sprühkopf von der Flasche, goss ca. 2 cl in den Schwenker, schwenkte ihn so, als ob er einen 20 Jahre alten Lepanto enthielte, hängte die Nase ins Glas und inhalierte, so tief sie konnte. Als sie wieder zu sich kam, hielt sie nur noch den kurzen Stiel des Cognacschwenkers in der Rechten, der Glaskörper war akkurat auf dem Küchenboden verteilt; es war bereits Abend. Wie in Trance ging sie an den Computer und schrieb die Nacht durch.
Gegen sieben Uhr fügte sie das 40-seitige Textdokument als Datei zu der Mail an ihren Lektor hinzu und bereitete sich ein Frühstück.
Um neun Uhr ging das Telefon: »Jessicaschatz, wir drehen hier alle durch im Verlag, das ist so ein Geilomat, dein Text, megalohyperhammermäßig, pass auf, wir wollen das ganz neu starten, weltweit, Tabula rasa, also vergiss Jessica Falk, ein neuer Name muss her, wie findest Du Cornelia Funke?«
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SCHREIBGERÄT
Wer behauptet, dass das »In den Schnee Pinkeln« eine reine Männer-Domäne sei, der irrt gewaltig. Nach der sehr ausgelassenen Weihnachtsfeier eines namhaften Steuerberatungsbüros (74 Angestellte - davon 42 weiblich) landeten einige mit Getränken bis zum Rand volle Blasen samt deren Herren in Begleitung einiger durch geistige Getränke deutlich aufmerksamkeitsgestärkte Damen gibbelnd auf einer mit Neuschnee bedeckten Wiese nahe der Feierstätte.
»Tschulligun, muss dringend« murmelnd, wandte sich einer der Herren ab und nestelte an seiner Hose, um Tür und Tor zu öffnen.
Die Chefsekretärin stellte sich neben ihn und beobachtete gebannt, wie sein Piephahn in der eisigen Luft schrumpfte.
»Oh, ein Stift«, rief sie albern. »Kann man damit schreiben?«
»Selbstverständlich, mein Frollein«, griente der Befragte, und eh er sich versah, griff sie sich schnurstracks sein Schreibgerät und begann damit die Buchstaben ihres Vornamens in den Schnee zu schreiben.
»Nich so feste drückn«, riet ihr der Tintenspender, »sonst geht noch die Mine kaputt.«
»Aber ich muss doch zwischendurch absetzen, sonst kann man's nachher nich lesen«, meinte die Schreibkraft und fuhr unbeirrt fort.
»Ich beherrsche die Schönschrift, da braucht man nicht absetzen!«, eiferte ihr eine andere Dame sofort nach, worauf der Leiter der Umsatzsteuerabteilung ihr umgehend seinen Stift in die Hand drückte mit den Worten: »Das möchtich sehn.«
»Kann man mit dem auch rechnen?«, fragte eine andere Dame den neben ihr stehenden und in das fortlaufende Schauspiel vertieften Kollegen.
»Mit meinem können Sie immer rechnen«, lachte der vielsagend und öffnete den Verschlag. »Bitte bedienen Sie sich.«
Das Ganze wirkte ansteckender als Gähnen, und plötzlich machten sich zwei Damen an einem Herrn zu schaffen und schrien vergnügt: »Wir können sogar teilen!«
Um das noch zu toppen, juchzten weitere drei Teilnehmerinnen um den selig lächelnden Mitarbeiter aus dem Ressort »Außergewöhnliche Belastungen« herum triumphierend: »Die Mengenlehre funktioniert auch!«
»Un wie steht's mit der Potenzrechnung?«, fragte die Spezialistin für Arbeitnehmer-Sparzulagen ins feuchtfröhliche Getümmel, während sie von einer ihren hohen Hacken kippte.
Nur Edda, 21, Praktikantin, blauroter Stiftekopp, wie man im Rheinland sagt, also mit dem versehen, was früher als »Mecki-Schnitt« landauf, landab gefürchtet war, machte noch schmalere Lippen, als sie ohnehin schon hatte, und verschwand so schnell in einem China-Imbiss, dass die Piercings klapperten.
Kurze Zeit später umstanden 59 Angestellte - 15 hatten wegen Unwohlsein die Segel gestrichen - einen makellosen Namenszug im Schnee. EDDA in Times New Roman.
»Hasse das denn hingekriegt?«, fragte der Chor der Verbliebenen unisono.
»Na gepinkelt«, sagte Edda knapp.
Hätte es sich um die Weihnachtsfeier eines Priesterseminars gehandelt, wäre sicher der eine oder andere unter »Ein Wunder«-Rufen in den Schnee gefallen, so aber setzte ein allgemeines Kleiderordnen und besoffen nach Hause Fahren ein. Die
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