Verkehrte Welt
gerade erst an, mich aufzuregen, du herzloses Ungeheuer. Hab ich dich nicht letzte Woche ausdrücklich gebeten, den Wagen zur Inspektion zu bringen? Ich hab doch geahnt, dass da was nicht stimmt. Und, wer hat den Termin verschlunzt? Oder hast du es etwa absichtlich gemacht? Wolltest du mich vielleicht auf diesem Weg loswerden, loswerden für immer, damit du endlich freie Bahn hast für deine …«
»Beate, hör auf damit, hör sofort auf, du weißt, dass das nicht stimmt, beruhige dich, bitte. Sag, sind die Beamten noch in der Nähe?«
»Du meinst wohl Hörweite, was? Das ist ja wohl der Gipfel, ich bin schwer traumatisiert, und du sorgst dich um deinen guten Ruf, um deine Karriere!« »Beate, so war das nicht gemeint, bitte .«
»Nein, sie sind nicht in Hörweite, aber das lässt sich auf der Stelle ändern!«, kreischte sie mit wohldosierten Anteilen von Hysterie und Panik auf dem Zäpfchen, öffnete die Beifahrertür und schlug sie gleich wieder zu.
»Beate, bitte, bitte, mach jetzt nichts Unüberlegtes.«
»Nichts Unüberlegtes«, wimmerte sie ins Telefon, wobei sie einen prüfenden Blick auf ihre Fingernägel warf und wiederholte: »Nichts Unüberlegtes, also gut, ich will die Scheidung, das Haus in Spanien, das Konto auf den Cayman-Inseln und monatlich 5000, okay?«
»Beate, sei nicht kindisch, wie soll ich denn ein Schwarzgeldkonto in eine Scheidungsvereinbarung aufnehmen, ich bin Staatsbeamter, und außerdem hast du meine Frage nicht beantwortet, wer ist dieser Albert oder Bert ...?«
»Er heißt Bernd und ist Steuerfahnder, er hat damals die Liechtenstein-Sache mitbearbeitet und ist in einer Sonderkommission für die Cayman-Inseln …« »Schon gut, Beate, gib mir den Einsatzleiter noch mal!«
Beate brüllte aus dem Fenster: »Ihr Chef will Sie noch mal sprechen!«
Der Beamte stürzte herbei und nahm das iPhone ans Ohr: »Jawohl, Herr … ja … alles klar.«
Ein halbes Jahr später wurde die Lokalpresse eine Zeit lang von nur einem Thema beherrscht: Frau des Polizeipräsidenten und ihr Lover wegen Drogendealerei verhaftet. Zwei Kilo Heroin, die sie im Reservereifen versteckt hatten, was sie bis zuletzt versuchten zu leugnen. Der Polizeichef selbst ließ sich wegen eines nie erkannten Rückenleidens dienstunfähig schreiben und schippert seitdem mit einem Segelboot durch die Weltgeschichte, keiner weiß, wo genau.
Nur seine langjährige Sekretärin liest unter Tränen zweimal am Tag die Ansichtskarte, die er ihr von den Caymans geschickt hat: »Liebste Mausi, ich denke oft an unsere gemeinsamen Überstunden zurück. Diese einheimischen Mädels haben es einfach nicht so drauf wie Du. Grüß Deinen Mann, wenn Du ihn im Knast besuchst, und sag ihm, er hätte wirklich Glück gehabt.«
Dass seine Exfrau mit ihrem Verdacht, was den Reifen angeht, gar nicht so verkehrt gelegen hatte, hat er dann aber doch nicht geschrieben.
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SCHIMMEL
Im Geiste sah sich Jessica als gefeierter Star der Literaturszene, umschwärmt von Kritikern und Kollegen, vergöttert von Millionen von Lesern rund um den Globus. Nur das Schreiben wollte ihr nicht so recht gelingen. An Ideen mangelte es nicht, aber selten kam sie über den ersten Satz hinaus, weil sie ihn auf der Jagd nach Perfektion so lange bearbeitete, bis er nicht mehr zu gebrauchen war. Deswegen war sie auch ein wenig neidisch auf den Hausmeister, der anstehende Probleme ratzfatz löste und dabei noch selig kleine Liedchen pfiff. Den Schimmel an der Wand hinter ihrer Kommode im Schlafzimmer hatte er längst nicht so ernst genommen wie sie, und ihre Besorgnis hinsichtlich der gesundheitlichen Auswirkungen wurden von ihm mit einer abfälligen Handbewegung weggewischt. »Det sprüh ick Ihnen ordentlüsch ein mit eene Speziallösung, und denn is jut«, hatte er gesagt. »Nur nisch verjessen zu lüften, wa. Det hat aber ooch jeschüttet die letzten Tage. Möglischerweise verstopfen Blätter die Rejenrinne, da wer ick misch sofort ma drum kümmern.«
Und dann hatte er gesprüht, dass ihr Riechen und Sehen vergingen. Seine Worte fielen ihr am nächsten Morgen wieder ein, als sie nach der Ursache für ihre dicken Augen, die verklebte Nase und die Kopfschmerzen suchte. Vielleicht hatte sie zu kurz gelüftet. Der Weg vom Bad zu ihrem Schreibtisch schien endlos, sodass sie dachte, die Wohnung sei über Nacht gewachsen. Auch die Tastatur ihres Computers wirkte wie die
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