Verküsst & zugenäht!
auf den ersten Blick für blond gehalten hatte, war in Wahrheit mittelbraun und hatte von der Sonne oder einem Weltklasse-Friseur helle Strähnchen verpasst bekommen.
Sie vermutete Ersteres, da jeder Mann, den sie kannte, sichlieber kastrieren ließe, als mit einem Dutzend Stanniolpapierstreifen auf dem Kopf gesehen zu werden. Zwar hatte sie bisher noch keinen leibhaftigen metrosexuellen Großstadttypen kennengelernt, war aber ziemlich sicher, dass dieser Prachtkerl nicht zu der Sorte gehörte.
Seine gebräunten Hände waren zu rau, seine Haut wirkte ein wenig zu verwittert. Seine Schultern unter dem schicken grauen Jackett waren muskulös, unter der Jacke trug er ein olivgrünes Kapuzenshirt. Seine Levi’s mit geknöpftem Hosenschlitz schien schon einiges durchgemacht zu haben.
Die Augen konnte sie hinter den Gläsern seiner Sonnenbrille nicht erkennen, doch hatte er den herrlichsten Mund, den sie jemals bei einem Mann gesehen hatte, voll, jedoch mit klaren Konturen. Leicht vorstellbar, wie diese Lippen einen küssten.
„Ist deine Mutter da?“
„Im Ernst jetzt?“ Schön, das war vielleicht nicht die höflichste Antwort, aber bitte! Sie hatte sich schließlich gerade vorgestellt, was er mit seinen Lippen alles anstellen konnte, während Marvin Gaye in ihrem Kopf dazu leise „Let’s Get It On“ sang. Dass er sie für ein Kind hielt, hatte auf sie die gleiche Wirkung, als würde man mit einer Nadel über eine Vinyl-Schallplatte kratzen. Ihr kleiner Tagtraum – woher zum Teufel der auch immer gekommen war – zerplatzte wie eine Seifenblase.
Nach einem überraschten Blick musterte er sie genauer. Dann verzog er die Lippen zu einem schiefen Lächeln. „Oh, tut mir leid. Ihre Größe hat mich einen Moment in die Irre geführt. Sie sind kein Kind.“
„Ach, meinen Sie?“
Sein Lächeln wurde breiter. „Ich bin wohl nicht der Erste, der diesem Irrtum erliegt.“
Okay, reiß dich zusammen, Schwester. Was war denn überhaupt ihr Problem? Normalerweise war sie nicht scharf auffremde Männer. Und da sie seit ihrem sechzehnten Lebensjahr in der Tourismusbranche arbeitete, neigte sie auch nicht dazu, Leute mit schneidendem Sarkasmus zu begrüßen.
Zumindest keine Leute, die ich nicht kenne.
Innerlich zuckte sie ungeduldig mit den Schultern. Vielleicht handelte es sich bei ihm ja um einen Gast. Zwar war momentan so gut wie nichts los, weshalb sie es gewagt hatte, Abby an der Rezeption allein zu lassen und sich endlich mal einen freien Tag zu gönnen. Abs, wie sie genannt wurde, war noch feucht hinter den Ohren. Vermutlich hatte das Mädchen ohne Bedenken den Weg zu ihrem Haus auf einem der Hotelstadtpläne eingezeichnet, damit dieser Fremde sich auch bloß ja nicht verlief.
Jenny setzte ein freundliches Gesicht auf. „Kann ich Ihnen helfen?“
Er blickte zu ihr hinunter. „Ja. Man sagte mir, ich könnte Jenny Salazar hier finden.“
„Sie haben sie gefunden.“
„Ich komme wegen Austin Bradshaw, es geht um die Vormundschaft.“
Jennys Herz begann schneller zu schlagen, doch sie sagte nur: „Sie sehen nicht aus wie ein Anwalt.“
„Bin ich auch nicht. Mr Verilla hat mir erklärt, dass Sie die Person sind, mit der ich sprechen muss.“
Seufzend trat sie einen Schritt zurück. „Dann kommen Sie wohl besser herein. Bitte entschuldigen Sie das Durcheinander. Ich habe heute meinen Putztag.“
Ihr Cottage war winzig, es dauerte nur ungefähr fünf Sekunden, bis man mitten im Wohnzimmer stand. Sie drehte sich zu ihm um und stellte fest, dass er die Sonnenbrille abgenommen und einen Brillenbügel in den Ausschnitt seines Sweatshirts geklemmt hatte. Als sie den Blick von seinem kräftigen, gebräunten Hals nach oben gleiten ließ, blickten sie sich zum ersten Mal in die Augen.
Ein Zittern lief durch ihren Körper. Oh Gott! Sie kannte nur einen einzigen Menschen auf der Welt, der eine derart hellgrüne Iris hatte – die gleiche Farbe wie die Seichtgewässer im Hood Canal.
Austin.
Wut packte sie, schnell und umfassend, und sie richtete sich zu ihrer wenig beeindruckenden vollen Größe auf. „Lassen Sie mich raten“, sagte sie mit Eiseskälte in der Stimme. „Sie müssen Jake Bradshaw sein.“
Als sie ihn jetzt ansah, konnte sie nichts mehr von gutem Aussehen und Sex-Appeal entdecken. Sie musste vielmehr daran denken, wie oft Austin gehofft hatte, sein Vater würde anrufen oder vorbeikommen, und an die schreckliche Enttäuschung jedes Mal. Verächtlich verzog sie den Mund. „Wirklich toll von
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