Verletzt
verstecken, wenn wir uns über Mauervorsprünge helfen oder wenn er mich, wie es jetzt wohl geschehen war, in das Skygate zurückgetragen hat.
Aber diese Berührung ist anders, sie hat fast etwas Zärtliches. Aber für Zärtlichkeiten darf es in unserer Welt keinen Platz geben. Die Gefahr ist zu groß am nächsten Morgen aufzuwachen und allein zu sein, seinen Liebsten an die Bestien verloren zu haben, oder an die Sektion. Jesse und ich sind Freunde, mehr nicht. Aber in einer anderen Welt unter anderen Umständen wären wir womöglich ein Paar. Darüber denke ich oft nach. Ständig, um genau zu sein.
Ich spüre meinen eigenen Puls, wie er gegen seine Finger pocht. Wie ein kleines Lebewesen, das auf sich aufmerksam machen möchte. Jesse hat Verdacht geschöpft, er ist nicht dumm, das muss ich zugeben.
„Du bist wunderschön“, flüstert er. Denkt er tatsächlich, ich könnte ihn nicht hören?
Ich halte meine Augen immer noch fest verschlossen, aber ich kann nicht verhindern, dass sich ein winziges Grinsen über meine Lippen legt.
„Ich wusste es!“, schimpft Jesse, aber ich höre es an der Melodie seiner Stimme, dass er sich freut. Er ist glücklich, dass ich wach bin, und ich grinse noch etwas breiter.
Ein Gedanke taucht plötzlich auf und verläuft sich in dem Labyrinth meines komplizierten Gehirns.
Es wäre so schön, wenn er mich wachküssen würde. Nur ein kleiner Kuss auf die Stirn und ich würde sofort meine Augen öffnen.
Nur ein Gedanke, den ich gleich wieder in eine Sackgasse verscheuche. Weil er nicht erlaubt ist, weil ich ihn nicht zulassen kann, und dann hebe ich mein linkes Augenlid an. Das Licht der LED´s blendet mich unangenehm und ich muss ein paar Mal blinzeln, jetzt mit beiden Augen, bis ich Jesses Gesicht klar über mir sehen kann.
„Hast du wirklich gedacht, ich merke es nicht, wenn du mich veräppeln willst?“, fragt Jesse.
„Mhm, einen Versuch ist es auf jeden Fall immer wert.“
„Schön, dass du wieder unter den Lebenden bist. Wie fühlst du dich?“, meint er jetzt wieder etwas ernster und klingt genau so, wie ich Jesse kenne.
„Der Doc hat mich ganz gut zusammengeflickt, würde ich sagen.“ Jesse schaut mir in die Augen, dann schüttelt er den Kopf, zweimal.
„Du solltest lernen mit dem Bogen umzugehen, oder mit einem Schießeisen, dann hätte sie weniger zu tun.“
„Ich bin mit dem Bogen ziemlich mies, habe noch nie ein Gewehr benutzt! Und wer würde dich dann beschützen, wenn die bösen Bestien kommen?“, scherze ich. Aber Jesse ist kein Lächeln zu entlocken.
„Engel, das war verdammt knapp.“
„Ist es das nicht immer?“
„Hättest du Platz gemacht, damit ich schießen kann, dann hätte ich sie erledigt.“
„Und wenn du nicht getroffen hättest, dann hätte sie uns beide erledigt.“
Es sind immer die gleichen Diskussionen. Wir führen sie immer und immer wieder. Nach jeder Jagd, und wir wissen beide, da bin ich mir sicher, dass sie zu nichts führen.
Wir wurden von unseren Ausbildern trainiert in Sekundenbruchteilen das Kampfgeschehen zu erfassen und dann instinktiv zu handeln. Wäre das nicht so, dann wären wir längst tot. Wir haben keine Wahl. Jedem in unserem Team wurde eine Rolle zugewiesen und das haben wir nicht selbst zu entscheiden. Das entscheidet allein die Sektion 0.
Sie hat entschieden, dass Asha unser Doc ist, Jesse der Fernkämpfer und ich der Nahkämpfer. Keiner kann unerlaubt aus der Rolle schlüpfen und sich vielleicht etwas weniger Gefährliches heraussuchen. Würde er das tun, dann flöge er aus dem Team.
Jesse hält immer noch mein Handgelenk fest. Seine Finger sind ganz warm. Ich schau ihm in die Augen.
„Wie lange war ich weg?“
„Drei Tage!“, sagt er ernst.
„Und du?“, frage ich.
„Ich war bei dir, wann immer es Asha erlaubt hat. Asha meinte, der Tod hat an deine Tür geklopft. Aber du hast ihm nicht aufgemacht. Mensch Freija, du hast so viel Blut verloren. Zum Glück verträgt dein Körper die synthetisch hergestellten Blutreserven so gut. Asha meinte, wir haben von deinen Eigenblutspenden nur eine Einzige angerührt. Es fließt jetzt roter Konservensaft durch deine Adern. Kein Wunder, hörst du dich so blechern an.“
Er lächelt, schaut aber gleich wieder ernster.
„Wir haben eigentlich erst in ein oder zwei oder drei Tagen mit dir gerechnet, so wie dich das Vieh zugerichtet hat.“ Jesse zieht mir den Schlauch aus dem Handrücken und schaltet den Monitor über meinem Kopf ab.
„Darfst du das
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