Verletzt
ich auch.
„Meinst du das ernst? Ich meine, findest du mich wirklich schön?“
„Ja total!“, bestätigt sie und streicht, wie zum Beweis, mit ihren schlanken Fingern ein kleines Tattoo auf meiner Hüfte nach. Es sieht aus wie eine kleine Schlange mit zwei Köpfen. 22, bald 23 dieser Zeichnungen befinden sich auf meiner Haut. Von winzig bis riesig. Jede Bestie, fast jede, hinterlässt ihr ganz persönliches Erinnerungsfoto auf meiner Haut. Ich habe mir darüber nie richtig Gedanken gemacht, ob sie meine Erscheinung verunstalten oder ob ich überhaupt hübsch bin. Wahrscheinlich liegt es daran, dass Hübschsein in unserer Welt für mich keinen Nutzen hat. Es hilft mir nicht weiter, wenn ich schön bin.
Die Bestien nehmen darauf keine Rücksicht. Sie wollen mir meinen Kopf vom Hals reißen, ob er nun gut aussieht oder nicht. Die Gesandten legen bei ihrer Auswahl darauf auch keinen Wert, oder vielleicht doch?
Ich schaue mich im Spiegel an und Asha auch. Sie hat recht. Ich bin hübsch.
Tatsächlich.
Genauso wie Asha.
Aber sie ist noch ein Mädchen und ich bin eine junge Frau. Ich bin wie ihre große Schwester, nicht nur weil wir uns so ähnlich sind, auch weil mich Asha als genau das sieht.
Ihre große Schwester. Ihren Ersatz für ihre verlorene Mutter.
Die Einzige, die sich um sie sorgt?
Asha wird nie Tattoos tragen. Nicht, solange ich auf sie aufpasse. Sie wird nie auf die Jagd gehen müssen und das ist gut so, denn ich würde mir viel zu viele Sorgen um sie machen.
Plötzlich wird mir die Situation unangenehm. Asha macht mich etwas verlegen, so wie sie mich anschaut. Sie hat mich schon so oft nackt gesehen. Klar, sie ist unser Doc und ich bin ein regelmäßiger Gast, aber das hier ist anders. Ich nehme ihr das Handtuch ab, um meine Blöße zu bedecken, und sofort fühle ich mich wohler.
„Es gibt bald was zum Essen“, sagt sie. „Gouch macht Schmorbraten, deine Leibspeise.“ Schmorbraten ist also das, was Gouch unter etwas Leichtem für den Anfang versteht?
Kapitel 3
Noch etwas schwach auf den Beinen wackle ich in den Meetingraum, wo wir auch gemeinsam essen. Ich werde herzlich empfangen. Alle sind da und scheinen sich wirklich zu freuen, dass ich wieder fit bin. Na ja, dass ich wieder laufen kann, trifft es wohl eher.
„Hat dich dieses Mal ganz schön erwischt, das Vieh“, sagt Gouch, der sich mir gegenüber hinsetzt und sich ohne zu zögern eine Ladung Kartoffelbrei in den Mund stopft.
„Ach, halb so wild“, schwindle ich und bemerke sofort den besorgten Gesichtsausdruck von Jesse.
„Ich frage mich, wie es die Bestie so weit in die Stadt geschafft hat“, sagt Flavius. Das habe ich mich auch schon gefragt. Der Finanzdistrikt, Zone zwei, wie wir auch sagen, ist normalerweise sicher. Ich kann mich nicht erinnern, dass es in den letzten vier Jahren zu so einem Zwischenfall gekommen war. Ich stecke mir ein saftiges Stück Schmorbraten in den Mund.
Zufall?
Ein Einzelfall?
Eine Ausnahme, sonst nichts! Kein Grund, sich über die Sicherheit unseres Verstecks Sorgen zu machen. Ich hake das Thema gedanklich ab.
„Manchmal wünsche ich mir, ich könnte mit Asha tauschen“, meint Flavius. Ich schaue ihn an, während ich mir ein zweites viel zu großes Stück Braten in den Mund sschiebe.
„Wieso das denn?“, fragt Asha auf ihre naive, unschuldige Art.
„Na, weil ich dann mehr Zeit mit Freija verbringen könnte.“ Idiot, denke ich, fühle mich von Flavius aber auch geschmeichelt. Er ist wirklich attraktiv. Selbst jetzt beim Essen sieht er mit seinen pechschwarzen Haaren, der schmalen Nase, auf der die klobige Hornbrille sitzt, die ihn noch interessanter macht, und seinen schmalen Lippen richtig gut aus. Aber er ist ein unverbesserlicher Charmeur und schon seit ich hier bin, ist er mit Trishtana zusammen.
Ich blicke zu ihr hinüber. Sie isst unbeeindruckt weiter. Hat sich an seine Sprüche schon seit Ewigkeiten gewöhnt. Flavius ist unser Technikexperte und vermutlich der hellste Kopf in unserer kleinen Truppe. Er war schon vor mir hier, genauso wie Trishtana und Jesse. Nur Gouch, Asha und Shaco sind noch später als ich zu unserem Team dazu gestoßen. Ich bin nicht besonders schlagfertig, zumindest nicht mit meinem Mund, deshalb reagiere ich nicht auf Flavius Bemerkung und esse einfach weiter.
„Du kannst dich ja das nächste Mal, wenn die Gesandten kommen, um Asha´s Job bewerben“, sagt Shaco und spricht damit ein Thema an, das alle augenblicklich zum Schweigen veranlasst.
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