Verlieb dich nie nach Mitternacht
abschätzendem Blick. »Dagmar Wagner. Kripo. Betrugsdezernat. Wir suchen Boris Wendzinski. Ist er hier?«
Überrumpelt wies Maribel den Weg ins Schlafzimmer. Kriminalkommissarin Wagner hielt ihr ihren Dienstausweis vor die Nase. Maribel war zu aufgeregt, um die Angaben ernsthaft prüfen zu können. Zu ihrem Entsetzen befand sie sich mitten in einer Polizeiaktion.
Wie gebannt starrte sie auf die Schlafzimmertür, hinter der Boris nackt auf sie wartete.
Die Polizei war gekommen, um ihn mitzunehmen. Nach dem Anruf seines Mitarbeiters hatte er damit gerechnet. Man würde ihn verhören und einsperren, obwohl er unschuldig war. Nur, weil sich zwei Gangster gegen ihn verschworen und ihn als Drahtzieher der Hehlerbande ausgemacht hatten.
Zwei Stimmen gegen eine.
Was zählte heutzutage noch das Ehrenwort eines einzelnen Mannes?
Er würde es nicht aushalten, eingesperrt zu sein. Der Anblick von Eisenstäben und -ketten genügte, um ihm die Luft zum Atmen zu nehmen – als müsse er ertrinken.
Boris rannte ans Fenster und schaute hinaus. Die Wohnung lag zu hoch, um die Flucht hinaus zu wagen. Außerdem hatte sich bereits eine Menschenmenge um die beiden Polizeifahrzeuge versammelt. Ein Fassadenkletterer würde sofort alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Er musste fliehen, aber nicht auf diesem Weg.
Maribel.
Würde ihre Liebe zu ihm stark genug sein, um diese Probe zu bestehen? Durch die geschlossene Tür hindurch hörte er, wie Maribel die Wohnungstür öffnete und die Polizei auf der Suche nach ihm hereinstürmte.
Auf ein Wiedersehen, Maribel!
*
Es brannte kein Licht, als die Polizei das Schlafzimmer stürmte. Das Bett war leer. Das Fenster stand weit offen. Schneeluft wehte herein.
Boris Wendzinski hatte das Weite gesucht.
Maribel zwickte sich in den Arm, um sicherzugehen, dass sie nicht träumte. Einer der Beamten beugte sich aus dem Fenster, spähte konzentriert nach rechts, dann nach links, am Schluss nach unten in den Hinterhof. »Wie vom Erdboden verschluckt, der Kerl.«
Sein Kollege schien ihm ähnlich zu misstrauen wie Maribel. Auch er trat ans Fenster, spähte nach oben, wo zwei weitere Stockwerke folgten. »Nichts.«
»Fangt an, die Wohnung zu durchsuchen.« Wagner hielt Maribel einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss vor die Nase. Obwohl Maribel die Frau auf nicht älter als dreißig schätzte, klang ihre Stimme bereits resigniert.
»Ich versteh das alles nicht.« Maribel ließ sich in den Sessel fallen, der ihr am nächsten stand. Ein dumpfer Druck machte sich hinter ihren Schläfen breit, als sie beobachtete, wie die beiden Polizisten eine Schranktür nach der anderen öffneten, Schubladen aufzogen, unters Bett spähten, Vorhänge und Decken anhoben, immer auf der Suche nach Boris.
»Ich versteh das nicht.«
Dagmar Wagner blieb vor ihr stehen und sah prüfend auf sie herab. »Möchten Sie etwas trinken? Ein Glas Wasser vielleicht?«, fragte sie. Als ob sie hier zu Hause war und nicht Maribel.
Maribel schüttelte den Kopf. »Was ist passiert? Was wollen Sie von Boris?«
Die Kriminalbeamtin entsann sich ihrer Ausbildung in Psychologie. Sie zog einen Stuhl zu Maribel heran und setzte sich. Ihr Lächeln sollte beruhigend wirken. »In meiner Tasche steckt ein Haftbefehl für Ihren Freund. Man wirft ihm fortgesetzten Betrug und Hehlerei vor. Internetgeschäfte. Wir sind ihm schon seit Langem auf der Spur.«
Die Frau ließ ihren Blick über das Mobiliar schweifen. Schwedische Selbstbauregale zu wenigen Designerstücken. Zeitschriften stapelten sich in losen Haufen auf Tischen und dem Fußboden. Kalter Zigarettenrauch hing in der Luft, im Aschenbecher häuften sich die Kippen.
»Rauchen Sie?«
»Nein, mein Freund.«
Mit dem Kopf gab Wagner ihrem Kollegen das Zeichen, die Kippen als Beweismittel zu sichern. »Sie sind die Mieterin dieser Wohnung?«
Maribel nickte wahrheitsgemäß.
»Seit wann wohnt Boris Wendzinski bei Ihnen?«
Maribel zog an ihren Fingern, bis die Knochen knackten.
Sollte ich plötzlich verschwinden müssen, dann verliere nicht den Glauben an mich. Der Anruf heute Morgen. Boris musste gewusst haben, dass die Polizei hinter ihm her war. Deshalb seine seltsamen Andeutungen.
Warum hatte sie ihm bloß nicht zugehört? Wie viel durfte sie erzählen, ohne ihm zu schaden? Man kannte das ja aus Fernsehkrimis: Je mehr man erzählte, umso mehr Indizien wurden gegen einen gesammelt. Irgendwann landete dann sogar der Unschuldigste im Gefängnis.
»Boris und ich teilen uns die
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