Verlieb dich nie nach Mitternacht
Wohnung.«
»Seit wann?«
Maribel versuchte, sich zu konzentrieren. Wann war Boris bei ihr eingezogen?
»Eigentlich von Anfang an. Es war Liebe auf den ersten Blick.«
»So etwas gibt’s noch?«
Verzogen sich die Mundwinkel der Kriminalbeamtin geringschätzig nach unten? Maribel versuchte, es zu ignorieren.
»Wir lernten uns vor etwa vier Wochen in einer Bar kennen. Ich arbeite in einem Ehevermittlungsinstitut und habe einen Kunden zu seinem ersten Date begleitet. Danach nahm ich noch einen Drink. Und dann sah ich ihn.« Maribels Stimme verlor sich, als sie sich an diesen Moment erinnerte.
In dem schummrigen Licht, das in der Bar herrschte, erschien Boris ihr mit seinen hellen Haaren und dem weißen Anzug fast wie eine überirdische Erscheinung. Obwohl sie es versuchte, gelang es ihr nicht, den Blick abzuwenden, als er sie ansah. Sein Lächeln fühlte sich wie ein warmer Mantel an, den er ihr zum Schutz gegen die Kälte um die Schultern legte. Aufatmend war sie hineingeschlüpft.
War es wirklich erst vier Wochen her?
Ratlosigkeit schnürte ihr die Kehle zu. Fast panisch sprang sie auf. Weit öffnete sie das Fenster, atmete bewusst ein und aus. Ihr Blick fiel hinunter auf die Straße. Kein zerschmetterter Körper verunstaltete das Betonpflaster. Doch eine Ansammlung Neugieriger scharrte sich um die beiden Polizeifahrzeuge, die draußen vor dem Haus warteten. Die Köpfe reckten sich nach oben, als sie Maribel bemerkten. Hastig zog sie sich vom Fenster zurück.
»Hier.«
Dankbar leerte Maribel das Glas Wasser, das Wagner ihr reichte.
»Typen wie Ihrem Boris passiert nichts. Die sind wie Katzen, die immer auf die Pfoten fallen-«
Die Kriminalbeamtin verfügte über das Gemüt eines Metzgereihundes. Ein Sprung aus drei Metern Höhe konnte nicht ohne Folgen bleiben, auch für Boris nicht.
Aber warum war er geflohen, wenn er unschuldig war?
Maribel wiederholte die Frage laut.
Die Beamtin lächelte grimmig. »Ohne entsprechende Beweise hätte die Staatsanwaltschaft keinen Haftbefehl ausgestellt. Es gibt zwei Zeugen, die bereit sind zu beeiden, dass Ihr Boris das Oberhaupt einer Hehlerbande ist.«
Wagners Handy klingelte. Sie ging schnell in die Küche und nahm das Gespräch an. Während sie telefonierte, beobachtete Maribel fröstelnd, wie ihre Kollegen die Wohnung in ihre Bestandteile zerlegten.
»Seit wann, sagten Sie, wohnt Wendzinski bei Ihnen?«
Maribel zuckte zusammen. Sie hatte nicht bemerkt, dass die Frau ihr Telefonat längst beendet hatte. Abermals schweiften ihre Gedanken zu Boris.
Vergiss nie, dass ich dich liebe. Seine Worte klangen ihr noch im Ohr. Selbst, wenn sie ihm glaubte, bedeutete dies noch lange nicht, dass er wirklich unschuldig war.
Oder?
Als die Beamtin sich erneut räusperte, riss Maribel sich zusammen. »Entschuldigung.«
Die undurchdringliche Miene ihres Gegenübers irritierte Maribel. »Waren Sie schon mal verliebt?«
»Viel wichtiger ist, ob Sie es sind.«
»Und wie. Ich spürte sofort, dass wir zusammengehören. Ich meine, zusammengehörten. Quatsch. Zusammengehören.« Verzweifelt strich sie sich die Haare hinters Ohr. Sie presste die Hände gegen die Schläfen, um sich besser konzentrieren zu können. »Doch. Es war Liebe auf den ersten Blick.«
»Was wir uns ja alle wünschen.«
»Ja.« Maribel warf der Kommissarin einen dankbaren Blick zu. Doch die Mundwinkel der Frau verzogen sich nach unten. Ernüchtert redete Maribel schneller. »Also, genau genommen wohnt Boris seit etwa vier Wochen bei mir.«
Die Kriminalbeamtin reagierte erleichtert. Endlich eine vernünftige Antwort. »Teilen Sie sich die Miete?«
»Ja. Das heißt nein. Boris hat in den letzten Wochen viel Pech gehabt. Seiner Firma ging’s nicht so gut. Er machte viele Überstunden und verdiente trotzdem kaum genug zum Leben. Da konnte ich doch unmöglich Miete verlangen. Bevor er hier einzog, habe ich sie auch allein bezahlt.«
»Bezog er Sozialhilfe oder andere Unterstützungen?«
»Ich glaube kaum. Boris ist ziemlich stolz, müssen Sie wissen. Der Gedanke, anderen auf der Tasche zu liegen, behagt ihm nicht.«
»Also haben Sie ihm gelegentlich Geld geliehen?«
Maribel stutzte. »Nicht so viel, wie Sie vielleicht annehmen. Ein paar Euro. Vierhundert, höchstens.« Plötzlich keimte ein Verdacht in ihr.
»Was, sagten Sie, werfen Sie ihm vor?«
»Fortgesetzten Betrug. Er hat Hunderte um ihre Ersparnisse gebracht.« Wagner versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, was sie von dieser Maribel hielt.
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