Verlieb dich - Roman
ihnen war sonderbar und verkrampft.
Leider mussten sie noch mindestens vierundzwanzig Stunden die Zeit totschlagen, bis sich die Stadt so weit geleert hatte, dass Rafe jeden Fremden sofort erkennen
würde. Keine verlockende Aussicht, bei der Anspannung, die zwischen ihnen herrschte, dachte Rafe.
»Wie ist dein Vater eigentlich so?«, erkundigte er sich. Er wollte mehr über den Mann erfahren, mit dem sie gerade telefoniert hatte. Über den alleinerziehenden Vater, der sie großgezogen und ihr offensichtlich eine gehörige Portion Bindungsangst mit auf den Weg gegeben hatte.
Bei der neutralen Frage entspannte sich Sara sogleich ein wenig. Ein sanftes Lächeln umspielte ihre Lippen. »Er ist groß und griesgrämig. Auf den ersten Blick wirkt er wie der typische Polizist vom alten Schlag, mit dem nicht zu spaßen ist. Aber im Grunde ist er ein totaler Softie. Harte Schale, weicher Kern.«
Die beiden schienen ganz gut miteinander auszukommen. »Du hast erzählt, er hätte dich allein großgezogen, nachdem euch deine Mutter verlassen hat.«
Sie setzte sich wieder hin. »Ja, das hat er. Nachdem sie weg war, ist bei uns zu Hause eine angenehme Ruhe eingekehrt. Es war endlich vorbei mit dem andauernden Geschrei und Gezanke. Dad redet nicht viel, aber wenn er etwas zu sagen hat, ist es meistens wichtig.« Sie stützte einen Ellbogen auf dem Tisch ab und dachte einen Augenblick an diese Zeit zurück. »Ich schätze, von ihm habe ich gelernt, wie wichtig es sein kann zu schweigen«, überlegte sie.
»Schweigen zu können ist eine wichtige Eigenschaft für einen Polizisten.«
Sie nickte. »Ich war natürlich eine richtige Quasselstrippe.
Ich hatte immer etwas zu erzählen, über alles und jeden. Wenn ich von der Schule nach Hause kam, habe ich meinem Vater ausführlich von den Ereignissen des Tages berichtet, angefangen vom Unterricht über Mädchenkram bis hin zum Thema Jungs. Er hat schnell begriffen, dass er mir aufmerksam zuhören musste, sonst gab es Ärger.« Sie lachte. »Mit der Zeit haben wir uns dann etwas angenähert.« Sara starrte, in Erinnerungen versunken, Löcher in die Luft.
Rafe wollte gern mehr erfahren, also wartete er ab und schwieg.
»Ich hatte gedacht, mein Vater würde traurig sein, nachdem uns meine Mutter verlassen hatte. Aber das war nicht der Fall. Er wirkte glücklicher, ging mehr aus sich heraus. Ich glaube, deshalb ist Alleinsein für mich gleichbedeutend mit Glücklichsein.« Sie blinzelte heftig und sah dann zu Rafe, als hätte sie das Gefühl, zu viel von sich preisgegeben zu haben.
Aber er wollte noch mehr wissen. »Hatte er keine Freundinnen? Verabredungen mit anderen Frauen?«
Sie nickte. »Doch, doch, immer wieder mal. Ich hörte eine Weile lang einen bestimmten Namen, dann war plötzlich wieder Schluss. Und wenn ich nachgefragt habe, meinte er stets nur, es sei Zeit für etwas Neues gewesen.« Sie zuckte die Achseln, als wäre das alles so einfach. »Dann kam die Nächste, und alles ging von vorne los. Keine einzige seiner Freundinnen hat mein Leben auf irgendeine Art und Weise beeinflusst oder sich auch nur ansatzweise in unserem Alltag bemerkbar gemacht. Für mich sah es so aus, als wäre das die
ideale Gestaltung des Privatlebens für jemanden, der Polizist ist.«
Ausschließlich auf Sex basierende Beziehungen ohne jegliche Intimität, ohne irgendwelche Gefühle, und Schluss machen, ehe die Nähe zu groß wurde – für Rafe klang das alles nach einem verdammt einsamen Leben.
Sara hatte sich ihm geöffnet und ihre Erinnerungen mit ihm geteilt. Damit hatte er einen tieferen Einblick in ihr Innenleben bekommen als erhofft. Jetzt verstand er, wie sie zu ihren Überzeugungen zum Thema Ehe und Familie gelangt war. Sie hatte aus den Erfahrungen ihrer Kindheit geschlossen, dass Ehe mit Leid gleichzusetzen war. Deshalb zog sie kurze, leidenschaftliche Beziehungen vor.
Da konnte er ihr nicht länger vorwerfen, dass sie alles, was zwischen ihnen war, kleinreden wollte. Dass sie in Panik geraten war und sich von ihm abgeschottet hatte, sobald sie gemerkt hatte, dass Gefühle mit im Spiel waren. Aber diese neuesten Erkenntnisse entmutigten ihn keineswegs, im Gegenteil: Die Tatsache, dass sie etwas für ihn empfand, gab ihm Hoffnung. Sobald sie wieder in New York waren, würde es ihr ein Leichtes sein, alles zu beenden und in ihre Wohnung und ihr Single-Leben zurückzukehren. Aber noch steckte sie hier fest, bis die Gefahr vorüber war oder bis es Zeit war, vor Gericht auszusagen. Das
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