Verliebt in den Feind?
fürchte, Phillip hat Ihre Nachricht nicht erhalten. Hätten Sie nicht einfach wieder gehen können, als Sie gemerkt haben, dass hier eine Gedenkfeier stattfindet?“
„Der älteste Sohn ist gestorben?“, fragte Rafael. Seine Miene war undurchdringlich.
„Ja. Roland. Er hatte vor einigen Wochen einen tödlichen Autounfall.“ Die Tragödie war in der Nacht des Saxon’s Folly Maskenballs passiert, der jedes Jahr im September, im neuseeländischen Frühling, stattfand.
„Mein Beileid“, sagte Rafael und neigte kurz und höflich den Kopf, bevor er fortfuhr: „Ich bin Tausende von Meilen weit gereist, immer mein Ziel vor Augen. Mein Kommen war angekündigt. Dass Saxon nichts davon berichtet worden ist, konnte ich nicht wissen. Und jetzt werde ich nicht unverrichteter Dinge wieder abziehen.“
„Ist das alles, was Ihnen dazu einfällt? Nach dem Durcheinander, das Sie ausgelöst haben?“, fragte Caitlyn empört.
Stirnrunzelnd betrachtete er sie.
Sie öffnete den Mund, schloss ihn aber sogleich wieder. Sie hatte schon zu viel gesagt. Warum hatte sie sich nicht aus allem herausgehalten? Es war ihr einfach unmöglich gewesen.
Stets war Phillip für sie mehr als ein Arbeitgeber gewesen. Als verständnisvoller Gesprächspartner hatte er ihr oft mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Ein väterlicher Freund. Und deshalb wollte sie nicht, dass irgendwer der Familie Saxon schadete.
„Wie Phillip schon angedeutet hat, sind die Saxons für mich so etwas wie meine Familie. Und als ich den hilflosen Ausdruck in seinen Augen gesehen habe, hätte ich Sie mit ihm so wenig allein lassen können wie … einen Tierquäler mit einem Welpen.“
„Was soll das?“, brach es aus Rafael heraus, und unter seinem dunklen Teint war deutlich die Zornesröte zu erkennen. „Lassen Sie solche Vergleiche! Ich bin ein Ehrenmann! Nie würde ich eine junge Frau mit einem Kind sitzen lassen. Ganz im Gegensatz zu Ihrem Arbeitgeber.“
Unwillkürlich wich Caitlyn einen Schritt zurück.
Sogleich trat er vor. „Mein erbärmlicher Vater soll endlich den Tatsachen ins Auge sehen: dass er einen erwachsenen Sohn hat, den er nie anerkannt und für den er nicht gesorgt hat. Und dass er eine Frau verlassen hat, die seine moralische und finanzielle Unterstützung dringend gebraucht hätte.“
Nach einem weiteren Schritt zurück spürte Caitlyn die Stall-wand am Rücken. Nervös schluckte sie. „Vielleicht hat er nichts davon gewusst …“
„Oh doch!“, widersprach Rafael und stützte beide Hände neben ihrem Kopf an die weiße Wand, sodass Caitlyn nicht mehr ausweichen konnte. „Sobald meine Mutter wusste, dass sie schwanger war, hat sie ihm geschrieben.“
„Na ja …“, stammelte sie. Er war ihr jetzt so nahe, dass sie jede Einzelheit seines Gesichts erkennen konnte: die zornig funkelnden Augen, die aufeinandergepressten Lippen, das kleine Grübchen. Sie kannte diesen Mann überhaupt nicht. Wieso nur war sie mit ihm hierher in den menschenleeren Stallhof gekommen? Wie leichtsinnig … Caitlyn nahm all ihren Mut zusammen und sagte: „Vielleicht ist der Brief verloren gegangen?“
„In ihrer Verzweiflung hat meine Mutter sogar zweimal geschrieben. Mindestens einer der Briefe wird ja wohl angekommen sein.“
Als Caitlyn klar wurde, wie aufgewühlt er war, glaubte sie nicht mehr, dass er ihr etwas tun würde, und sie schwieg betroffen. Seine Geschichte hörte sich wirklich nicht gut an. Caitlyn konnte kaum glauben, dass Phillip sich wirklich so verhalten hatte, wie es Rafael beschrieb. Sie jedenfalls kannte ihn nur als ehrlichen und aufrichtigen Mann von untadeligem Ruf. Überall wurde er als erfolgreicher Unternehmer geschätzt, der sich stets auch für wohltätige Zwecke engagierte.
„Mutter hat ihn sogar angerufen. Doch Phillip Saxon wollte nichts davon wissen, dass er ein Kind in die Welt gesetzt hatte. Er gab ihr deutlich zu verstehen, dass er seine Frau auf keinen Fall verlassen würde“, sagte er und stieß sich von der Wand ab.
Einen Augenblick lang tat er ihr so leid, dass sie ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter legte. Wie musste sich seine Mutter wohl damals gefühlt haben? Mit ihrer Schwangerschaft alleingelassen … Und das vor mehr als dreißig Jahren, als uneheliche Kinder noch keineswegs normal waren. Ebenso wenig zu beneiden war Kay … Wie demütigend das alles für sie sein musste! Als wäre Rolands Tod allein nicht schon schwer genug für sie!
Ausdruckslos blickte Rafael ins Leere.
„Sie sind nicht
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