Verliebt in den Feind?
Sehr ungewöhnlich. Seit ihrem Universitätsabschluss arbeitete sie hier auf Saxon’s Folly und gehörte daher so gut wie zur Familie. Aber diesen Mann hatte sie noch nie gesehen.
Neben sich hörte sie ein leises Schluchzen und merkte, dass Phillip seine Ansprache beendet hatte. Schnell versuchte Caitlyn, sich wieder auf den Anlass der Feier zu konzentrieren und nicht mehr an den geheimnisvollen Mann zu denken.
Jetzt setzte Alyssa Blake zu einer bewegenden Rede an. Wie sich vor Kurzem herausgestellt hatte, war sie Rolands leibliche Schwester, da Roland als Baby adoptiert worden war. Ein Umstand, an den sich die Saxon-Geschwister Heath, Joshua und Megan erst hatten gewöhnen müssen.
Wieder blickte Caitlyn zu dem Fremden hinüber. Selbst jetzt, da zwei Gutsmitarbeiter neben ihn getreten waren, wirkte er noch immer irgendwie … herausragend. Aufmerksam sah er sich um, als ob er sich ein Urteil bilden wollte, über die Dinge und Menschen, die er sah. Aber wer war er?
Vielleicht ein Reporter, der das Leid der Familie Saxon porträtieren wollte? Das fehlte gerade noch.
Aus den Augenwinkeln betrachtete Caitlyn den Fremden im schmutzigen Anzug. Wie ein Paparazzo sah er eigentlich nicht aus, außerdem fehlte ihm die Kamera. Vielleicht ein Freund von Roland aus der Schul-oder Universitätszeit, überlegte sie, während sie auf ihn zuging. Der Fremde war wirklich groß, bestimmt zehn Zentimeter größer als sie, dabei war sie nicht gerade klein.
Leise sagte sie: „Ich glaube, wir sind uns noch nicht begegnet.“
Als er sie mit seinen glänzenden dunklen Augen betrachtete, fühlte sie sich seltsam berührt. Ein Gefühl, das sie schon sehr, sehr lange nicht mehr verspürt hatte …
„Mein Name ist Rafael Carreras“, sagte er mit tiefer Stimme und ungewöhnlichem Akzent.
Und in Caitlyn erwachte etwas, an das sie lange nicht gedacht hatte. Sie versuchte, die ungewohnte Empfindung zu verdrängen. „Haben Sie Roland gekannt?“, fragte sie, schon um die angenehme Stimme nochmals zu hören.
„Nein.“
Als Marketingchef von Saxon’s Folly war Roland um die halbe Welt gereist. Seltsam, dachte Caitlyn. Der Mann war wirklich sehr verschlossen. Vielleicht war er doch ein Sensationsreporter, der dem guten Ruf der Saxons schaden wollte. In eher unfreundlichem Ton fragte sie: „Und was machen Sie dann hier?“
Aufmerksam musterte er sie: ihre praktischen schwarzen Lederpumps, die sie schon seit zehn Jahren bei Weinpräsentationen trug, ihre nach dem ungewöhnlich langen Winter blassen Beine, ihren Rock, dessen Länge nicht mehr modern war. Da Caitlyn fast immer Jeans oder andere Hosen trug, war ihr das nicht so wichtig.
Dann betrachtete er ihren sündhaft teuren Leinenblazer, den sie nur gekauft hatte, weil Megan mit ihrem ausgezeichneten Modegeschmack darauf bestanden hatte. Sie hatte Caitlyn versichert, dass das Apricot zu ihrem fast irischen Hauttyp und dem rotblonden Haar sehr gut passte. Dem traurigen Anlass angemessen war das exklusive Stück allerdings nicht.
Als er ihr in die Augen sah, fühlte sie sich seltsam berührt. Dabei erkannte sie an seinem abschätzenden Gesichtsausdruck deutlich, dass er von ihrer Aufmachung nicht besonders angetan war.
„Gehören Sie zur Familie Saxon?“ Fragend zog er eine Augenbraue hoch, wodurch seine Miene noch stolzer und hochmütiger wirkte.
„Nein, aber …“
„Dann wüsste ich nicht, was Sie das angeht.“
So ein unhöfliches Verhalten war Caitlyn nicht gewohnt. Hilfe suchend sah sie sich nach Pita um. Da vor einigen Wochen zwei Jugendliche ziemliches Unheil angerichtet hatten, war ein Sicherheitsdienst beauftragt worden, der Tag und Nacht auf dem Gut patrouillierte. Pita war groß und kräftig, er und seine Leute würden den Fremden wenn nötig hinauswerfen.
So unauffällig wie möglich musterte sie ihn. Der dunkle Anzug betonte seine schlanke, aber muskulöse Gestalt und die breiten Schultern. So stellte sich Caitlyn Stierkämpfer vor: raue Gesichtszüg und ein markantes Profil. Dazu der feurige Glanz seiner Augen … Kein Zweifel, er würde einer Auseinandersetzung nicht aus dem Weg gehen.
„Doch, es geht mich etwas an“, sagte sie, ohne seinem Blick auszuweichen.
„Glaube ich kaum.“ Er sah sie an und presste die schmalen Lippen aufeinander.
Caitlyn überlegte nun ernsthaft, ob sie den Fremden hinauswerfen lassen sollte.
Gerade sprach Alyssa mit fast versagender Stimme davon, wie sie mit Rolands Mutter und seinen Geschwistern Joshua, Heath und Megan
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