Verliebt in die verrückte Welt - Betrachtungen, Gedichte, Erzählungen, Briefe
groß und furchtbar wie zuvor.«
Hinzu kommt noch – angesichts des Versagens der christlichen Kirchen – die Überwindung des Eurozentrismus in seinen Dichtungen, also das Einbeziehen anderer Kulturen und Glaubensformen, insbesondere derjenigen Asiens, weil diese Kulturen jahrtausendelang ohne Kriege ausgekommen sind. Im Hinduismus, Buddhismus und Taoismus fand er in analogen Symbolen ausgedrückt, was die christlichen Kirchen in ihrer Intoleranz und Obrigkeitshörigkeit allzulang ausgegrenzt haben. Auch das machte ihn in konservativen Kreisen suspekt, vor allem wegen der überkonfessionellen Spiritualität in Büchern wie Siddhartha und Das Glasperlenspiel , die besonders in den asiatischen Ländern großen Anklang finden.
Mehr als dies aber besticht seine menschliche Integrität. – Ethik und Ästhetik sind für Hesse keine Widersprüche, sondern stehen auf eine Weise in Einklang miteinander wie bei wenigen Autoren seiner Generation. Er hat gelebt, was er als Dichter vertrat. Er balancierte nicht über den Dingen, sondern ist verletzbar geblieben bis an sein Lebensende. »Scherbenberg und Trümmerstätte / Ward die Welt und ward mein Leben«, heißt es in einem seiner späten Gedichte, »Weinend möcht ich mich ergeben, / Wenn ich diesen Trotz nicht hätte, / Diesen Trotz im Grund der Seele, / Mich zu stemmen, mich zu wehren, / Diesen Glauben: was mich quäle, / Müsse sich ins Helle kehren, / Diesen unvernünftig zähen/ Kinderglauben mancher Dichter / An unlöschbar ewige Lichter, / Die hoch über allen Höllen stehen.«
Neben Thomas Mann und Stefan Zweig ist Hermann Hesse wohl der gütigste, hilfsbereiteste und unbestechlichste Schriftsteller seiner Generation gewesen. Leben und Werk sind wie eine Gleichung, bei der am Ende alles aufgeht. Das belegen nicht nur seine unzähligen Antworten auf Leserfragen – sondern auch Tausende von Buchbesprechungen, in welchen er sich neidlos für jene Kollegen aus der Vergangenheit und Gegenwart eingesetzt hat, deren Werke auf eine Humanisierung des Menschen und Förderung alles dessen zielen, was das Leben bunt, sinnvoll und lebenswert macht.
Januar 2003
Volker Michels
Gestutzte Eiche
W ie haben sie dich, Baum, verschnitten,
Wie stehst du fremd und sonderbar!
Wie hast du hundertmal gelitten,
Bis nichts in dir als Trotz und Wille war!
Ich bin wie du, mit dem verschnittnen,
Gequälten Leben brach ich nicht
Und tauche täglich aus durchlittnen
Roheiten neu die Stirn ins Licht.
Was in mir weich und zart gewesen,
Hat mir die Welt zu Tod gehöhnt,
Doch unzerstörbar ist mein Wesen,
Ich bin zufrieden, bin versöhnt,
Geduldig neue Blätter treib ich
Aus Ästen hundertmal zerspellt,
Und allem Weh zum Trotze bleib ich
Verliebt in die verrückte Welt.
Juli 1919
D as Leben ist sinnlos, grausam, dumm und dennoch prachtvoll – es macht sich nicht über den Menschen lustig (denn dazu gehört Geist), aber es kümmert sich um den Menschen nicht mehr als um den Regenwurm. Daß ausgerechnet der Mensch eine Laune und ein grausames Spiel der Natur sei, ist ein Irrtum, den der Mensch sich erfindet, weil er sich zu wichtig nimmt. Wir müssen erst sehen, daß wir Menschen es keineswegs schwerer haben als jeder Vogel und jede Ameise, sondern eher leichter und schöner. Wir müssen die Grausamkeit des Lebens und die Unentrinnbarkeit des Todes erst in uns aufnehmen, nicht durch Jammern, sondern durch Auskosten dieser Verzweiflung. Erst dann, wenn man die ganze Scheußlichkeit der Sinnlosigkeit der Natur in sich aufgenommen hat, kann man beginnen, sich dieser rohen Sinnlosigkeit gegenüberzustellen und sie zu einem Sinn zu zwingen. Es ist das Höchste, wozu der Mensch fähig ist, und es ist das Einzige , wozu er fähig ist. Alles andre macht das Vieh besser.
Tragen Sie das Leid, kosten Sie die Verzweiflung, aber lernen Sie das Nichtverstehen, das Leid, die Sinnlosigkeit als Vorbedingung für alles erkennen, was der Mensch wert sein kann. Wie Sie nachher Ihren Glauben formulieren, ob christlich oder sonstwie, ist einerlei. Es gibt keine andern Götter, als die der Mensch sich macht. Es gibt ja auch keine andern Regierungen, Gesetze und Moralen, als die der Mensch sich macht. Das tun die Völker im großen, und das tut jeder Einzelne im kleinen. Er gibt dem Sinnlosen einen Sinn, er stellt seine Ahnung, sein Bedürfnis nach Sinn dem Chaos entgegen, und lernt leben, als gebe es einen Gott und als habe das Ganze einen Sinn. Mehr ist nicht vonnöten, um leben zu können.
Daß
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