Verliebt in einen Gentleman
installiere. Meine Finger jucken danach. Gleich werde ich wieder dem beruhigenden Bild zusehen, wie die flirrenden Bonbons über das Display rieseln.
Da macht es „pöng!“, das Geräusch, das ertönt, wenn eine Mail eingeht.
Mein Herz klopft sofort schneller.
Vielleicht ist sie von Ethan! Vielleicht schreibt er: „Tut mir leid, Mückchen! Ich will ja versuchen, dich zu verstehen und lieben. Verlass mich nicht!“
Die Mail lautet folgendermaßen:
„Ja, du hast recht. Mir war es ein wunderbares, seltsames Rätsel, warum du so eine ansteckende Lebensfreude ausstrahlst, die einen fast neidisch werden lässt.
Ich ehre und liebe dich dafür, dass du mir das Geheimnis anvertraut hast, das dahinter steht, zumal ich verstehe, dass es dir nicht leicht gefallen ist, darüber zu schreiben. Es macht mich traurig, dass du so Schlimmes durchmachen musstest und ich bin beeindruckt, wie positiv du das Erlebte verarbeitet hast.
Warum sollte ich irgendetwas an dir ändern wollen? Ich finde dich einfach nur perfekt. Ich glaube, das weißt du längst.“
Genau die Mail, die ich – in meinen sehnsüchtigsten Träumen – von Ethan bekommen sollte!
Sie ist von Jens.
Ich bin völlig perplex.
Wie kommt Jens an die Mail, die ich eigentlich Ethan gesendet hatte, diese überaus private und hoch vertrauliche Nachricht?
Hat Ethan...? Nein! Nie und nimmer. Er kennt Jens doch gar nicht.
Aber, wie...?
Ich öffne meine Mailbox und klicke auf die Rubrik „Gesendet“. Hier müsste die Lösung für das Rätsel liegen.
Jetzt bin ich erst recht platt.
Ich habe die Mail zweimal gesendet, einmal an Ethan, einmal an Jens.
Aber, wie...?
Ich kontrolliere den Zeitabstand zwischen den beiden Ausgängen. Es ist kaum eine Minute, genau genommen nur 33 Sekunden.
Ich versetze mich zurück an den Zeitpunkt gestern Abend. Ich habe die Mail an Ethan geschickt. Das weiß ich genau. Wie könnte ich das vergessen?
Und dann?
Dann hat Inez mir das Handy wegnehmen wollen. Wir haben das Handy grob und hektisch angefasst.
Plötzlich wird mir
klar, was passiert ist. Die Mail ist unter diesem Gerangel noch einmal gesendet worden, und ausgerechnet an Jens.
Mit roten Wangen scrolle ich die Ausgänge durch. Wer hat die peinliche Mail wohl sonst noch bekommen? Am Ende alle meine Kontakte? Wie furchtbar wäre das denn?
Gott sei Dank ist sie nur an Jens gegangen.
Ich lese seine Antwort noch einmal.
Während ich sie lese, bekomme ich einen Kloß im Hals. Sie ist so warm, so gut, so feinfühlig...
Ich schiebe das Handy beiseite, lege meinen Kopf auf den Tisch und weine bitterlich.
Später raffe ich mich auf, wische meine Tränen weg und stelle meine Teetasse in die Küche. Ich brauche dringend frische Luft, also gehe ich hinaus in den Garten.
Aus einem Impuls heraus schreite ich wütend zu der vorwurfsvollen Clematis. Ich werde das welke Zeug entfernen, ja wohl, je schneller, desto besser.
Aber gerade, als ich in das trockene Laub fasse, leuchtet mir etwas entgegen. Ich bücke mich, um genauer zu sehen, was es ist.
Kleine grüne Blattknospen wachsen aus einer der Ranken heraus.
Okay, Clematis, sage ich, du hast gewonnen.
Die Tage vergehen.
Ich sehne mich jetzt nach dem Sommer, weil ich mich darauf freue, wieder zu Hause zu sein. Es fällt mir so schwer, Ethan zu vergessen. Überall bin ich mit ihm gewesen. Meine Zeit in England war so intensiv von meiner Beziehung zu ihm geprägt.
England ist für mich Ethan.
Gleich am ersten Schultag habe ich die schwere Goldkette von meinem Hals entfernt, habe sie in einen Umschlag gesteckt und sie in Ethans Lehrerfach gelegt.
Ich habe wieder meine Lieblingsohrstecker eingesetzt. Eine Schülerin hat mich darauf angesprochen. Sie meinte, dass sie gar nicht gewusst hätte, dass ich durchlöcherte Ohren habe, aber dass mir Ohrringe ja sagenhaft gut stehen würden, besonders die kleinen silbernen Creolen.
Ethan nimmt mich mit keinem Blick wahr, aber ich ignoriere ihn auch. Gelegentlich lässt sein Anblick, wenn er in dem akkuraten Anzug, den er als Lehrer trägt, im Gang an mir vorbei eilt, mein Herz bluten, aber ich schaue schnell weg und gehe erhobenen Hauptes weiter.
Er hat sich nach der Episode auf dem Feldweg nicht mehr um mich bemüht. Das hätte mich bei ihm auch gewundert, so stolz und dickköpfig, wie er ist.
Alice hat bemerkt, dass er nicht mehr zu uns kommt.
„Was ist nur mit deinem fantastischen Verehrer los?“, fragt sie. „Muss er zuviel für die Schule
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