Verliebt in einen Gentleman
„dann hole ich dich morgen Abend hier ab, so zur selben Zeit wie heute.“
Ich fasse meinen ganzen Mut zusammen und frage: „Und was ist am Vormittag? Könnten wir nicht etwas zusammen in Cambridge unternehmen?“
Ethan sagt: „Nein, das geht nicht. Theo und ich sind schon sehr früh morgen auf einer Treibjagd. Genau genommen ist das der Hauptgrund, warum ich überhaupt hier nach Norden gefahren bin.“
Mir geht ein Licht auf. Deswegen das längliche Gepäckstück im Kofferraum. Es könnte sein Gewehr sein. Sofort steigt Ethan wieder einige Zacken in meiner Achtung auf. Er geht auf die Jagd! Wie cool ist das denn? Das passt so ganz in mein Bild von ihm; der stille, elegante englische Gentleman, der zum Zeitvertreib auf die Jagd geht. Mr. Darcy lässt grüßen.
Obwohl es natürlich schade ist, dass ich mir morgen die Zeit in Cambridge alleine vertreiben muss. Innerlich hoffe ich, dass es Ethan ein wenig leid tut, dass er schon eine andere Verpflichtung hat.
Mir fällt ein, dass ich ab übermorgen kein Quartier mehr habe. Soll ich Ethan das sagen? Vielleicht ändert er seine Pläne, wenn er weiß, dass ich dann schon wieder Cambridge verlasse. Natürlich könnte ich mir ein Bed and Breakfast suchen, aber das wäre für mich viel zu teuer. Es kommt mir auch irgendwie unwürdig vor, nach seiner Aufmerksamkeit zu betteln, also sage ich nichts.
„Also dann, Lea“, sagt Ethan, „bis morgen. Ich wünsche dir eine gute Nacht.“
Er lehnt sich zu mir hinüber und gibt mir einen leichten Kuss auf die Wange. Der könnte irgendetwas bedeuten:
„Wir gehören ab jetzt zusammen, du und ich.“
oder:
„Das war nett, dich vorhin zu küssen, aber das hat sich nur so ergeben, sonst nichts.“
oder:
„Ich küsse halt immer auf Impuls, wenn ich ein Mädchen einigermaßen süß finde.“
Hoffentlich bedeutet es das Erste.
Ich wünsche ihm auch eine gute Nacht und gehen zum Haus, suche und finde den Schlüssel, den Emmy für mich versteckt hat und betrete das kalte dunkle Gebäude. Als ich die Haustür zuziehe, höre ich, wie das Motorgeräusch von Ethans Auto sich in der Ferne verliert. Wie gerne säße ich noch neben ihm im Auto!
Aber nein, sehr bald liege ich auf der klammen Pritsche in der düsteren Kammer, mit meiner tröstenden Wärmflasche auf dem Bauch. Lange bin ich noch wach.
Was meinte Ethan wohl mit seinen Bemerkungen über meine Leichtigkeit und mein Lachen? Mag er es jetzt eigentlich, wenn ich lache, oder eher nicht? Sollte ich daran arbeiten, etwas erwachsener und ernsthafter zu werden, damit ich besser zu ihm passe? Lachen die Ehefrauen von englischen Gentlemen, die ihre Freizeit Zeit mit der Jagd verbringen, eher viel, oder weniger? Wie ging das nochmal in meinen Romanen zu, die ich für das Studium lesen muss? Hat Elizabeth Bennet viel gelacht? Ja, doch. Hm.
Am nächsten Morgen wache ich mit Kopfschmerzen auf. Wahrscheinlich ist mein Kopfkissen in dem unmöglichen Bett zu flach, und mein Nacken ist davon verspannt. Ich reibe meinen Hals und denke an das, was der Tag bringen wird.
Eines ist klar: Ich darf keine Zeit verlieren, denn ich habe eine wichtige Aufgabe. Es ist nämlich so: Natürlich habe ich kein anderes Kleid in meinem Gepäck. Das Laura Ashley-Kleid zu reparieren hätte keinen Sinn, selbst wenn ich in dieser chaotischen WG ein Nähzeug auftreiben könnte, weil es Ethan sowieso nicht gefällt.
Mit dröhnendem Schädel schleppe ich mich in die verlassene Küche, (schlafen die Mitbewohner noch, oder sind sie schon alle aus dem Haus? Wieder beschleicht mich das Geisterhaus-Feeling), suche mir ein Frühstück zusammen und mache mir einen Instant-Kaffee.
Während ich meine Wheatabix löffle, überlege ich, dass meine Finanzen wohl gerade für ein neues Kleid reichen werden und ganze eventuell noch für neue Schuhe. Damit wäre eine Verlängerung meines Cambridge-Aufenthalts endgültig gestorben.
Na ja, sage ich mir, der Einsatz wird sich sicherlich lohnen. Ich habe vor, mich heute Abend in die Verführung in Person zu verwandeln. Ethan soll der Kiefer herunterfallen, wenn er mich sieht. Was hatte er noch gesagt? Wortfetzen schwirren durch meinen Kopf. Etwas von: „keine Klosterschülerin – lieber sexy – nicht so zugeknöpft – flache Schuhe blöd – offene Haare“.
Dass ich mich sexy zurechtmachen kann, habe ich in meiner Vergangenheit ausreichend bewiesen. Ethan soll merken, dass ich gestern nur deswegen so bieder daher gekommen bin, weil ich dachte, dass es zum Stil des
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