Verliebt in einen Gentleman
einfach zurück in mein grässliches Quartier und das war es wohl. Wieder sage ich mir, dass ich ihm wohl doch nichts bedeute, und dass ich mir seinetwegen lauter falsches Zeug eingebildet habe.
Doch weit gefehlt.
Ethan schenkt mir eines seiner raren, besonderen Lächeln und sagt: „Danke. Das ist nett von dir, dass du so verständnisvoll bist.“ Dabei sieht er mich ausgesprochen zärtlich an. Jetzt rast mein Herz wieder, und zwar nur und ausschließlich wegen Ethan.
Er zaubert meinen Mantel von irgendwo her und hilft mir hinein. Wieder spüre ich seine Fingerspitzen durch das Wollgewebe, so wie nach dem Crêpe Essen.
Auf einmal steht Theo neben uns.
„Geht ihr schon? Dann kommen wir auch mit.“ Er hat ein Mädchen untergehakt, blond, zierlich, ziemlich sexy. „Das ist Kathleen. Wir wollten auch gerade zu einem Spaziergang aufbrechen. Hier drinnen ist es doch unerträglich heiß und stickig.“
Kathleen wirft ihre langen Haare zurück und sieht Theo verliebt an. Theo grinst wie ein Honigkuchenpferd. Anscheinend hat er eine Eroberung gemacht. Man könnte eine Wette abgeben, dass die beiden noch heute Nacht im selben Bett landen.
Also verlassen wir zu viert das Gebäude. Draußen empfängt uns die kühle Herbstnacht. Es riecht nach welkem Laub und vom Fluss her duftet es nach Wasser. Die Musik und das Lachen der Gäste in der alten Küche sind hier nur noch gedämpft zu hören. Aus den Fenstern fallen helle Rechtecke auf den gepflegten Rasen des Innenhofs. Kathleen und Theo schreiten uns voraus auf dem Fußweg Richtung Cam und Uferwiesen. Wir schlendern hinterher. Ethan nimmt meinen Arm und legt ihn über seinen. Ich spüre seine Muskeln ganz deutlich. Mir kommt es so vor, als sei sein Arm angespannt.
Ich sage unsicher: „Ich hoffe, du bist mir nicht böse.“
Er fragt: „Warum sollte ich das sein?“
„Weil ich heute diese Show auf dem Fluss aufgeführt habe.“
Er sagt relativ kühl: „Das geht mich doch nichts an. Du kannst deine Zeit in Cambridge ganz nach deinem Geschmack gestalten.“
Seine Worte klingen so nüchtern, dass ich mich wieder einmal frage, ob er überhaupt an mir interessiert ist.
Wir gehen eine Weile schweigend nebeneinander her.
Dann sagt Ethan unvermittelt: „Ich habe mich nur gefragt, wer dein Begleiter war.“
Jetzt traue mich wieder, Hoffnung zu schöpfen und sage hastig: „Er ist niemand Besonderes, nur ein Bekannter aus Deutschland. Wir haben uns ganz zufällig hier in Cambridge getroffen.“
„Ah“, sagt Ethan. Mehr nicht.
Täusche ich mich, oder entspannt sich sein Arm unter meiner Hand? Ich möchte es gerne glauben.
Wir kommen zu einem hohen schmiedeeisernen Tor, das den Eingang zum College-Grundstück markiert. Theo und Kathleen sind schon durchgegangen.
Mit einem Mal blitzt der Schalk in Theos Augen auf, und er schlägt das Tor schnell zu. Ich fasse an die Klinke, aber Theo sagt gleich: „Das hat keinen Zweck. Das Schloss ist zugeschnappt. Du musst schon drüber steigen, Lea.“ Er fasst Kathleen bei der Hand und sie verschwinden kichernd in der Dunkelheit.
Ich sehe Ethan an. „Ist das wahr?“
„Ja sicher“, sagt er, „ich mache es dir vor.“
Er tritt mit einem Fuß auf eine Scharnier, wirft ein Bein über das Tor und schwingt sich leicht und mühelos darüber. Man merkt den durchtrainierten Sportlehrer. Die ganze Aktion hat keine Sekunde gedauert.
Ich stehe unsicher da. Erwartet er etwa von mir, dass ich in meinem Kleid auch da hinüber klettere? Da packt mich der Ehrgeiz. Das wollen wir doch mal sehen! Immerhin war ich im Schulsport auch keine Niete.
Also raffe ich mein Kleid hoch, fasse die Torstäbe fest mit beiden Händen und ziehe mich an dem Tor hoch, so wie Ethan es gezeigt hat. Doch als ich auf dem Scharnier stehe und zu Ethan hinüber sehe, werde ich nervös. Himmel, ist der Boden auf einmal verdammt tief unter mir! Ich spüre, wie meine Knie wackeln. Jetzt gilt es, das eine Bein über das Tor zu schwingen. Ich hole tief Luft und...
Ratsch!
Der defekte Saum meines neuen Kleides ist für eine solche Materialprobe ungeeignet. Ich bin irgendwo hängengeblieben und irgendetwas ist zerrissen. So ein Mist! Ich könnte heulen. Aber ich beiße die Zähne aufeinander, schwinge das andere Bein hinterher und lasse mich auf den Boden fallen – direkt in die Arme von Ethan, der mich auffängt.
Er drückt mich an seine Brust, küsst meinen Mund und lässt mich wieder los.
Hoppla, jetzt ist mir aber richtig schwindlig geworden. Ich halte mich
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