Verliebt in einen Gentleman
„Allerdings kann ich noch immer nicht glauben, dass so ein hübsches Mädel wie du nicht im Casino ein Getränk ausgegeben bekommt.“
Ich mache ein finsteres Gesicht. „Natürlich schon, aber die Herren sind doch nicht zufrieden damit, mir lediglich beim Trinken zu zu sehen. Ich müsste mit ihnen Konversation machen, und wer weiß, was noch alles.“
Jens lächelt. „Ja, ich hatte schon den Eindruck, dass du sehr auf deine Ehre und Würde bedacht bist.“
Ich weiß sofort, worauf er anspielt, und werde rot.
„Findest du es etwa gut, wenn der Gastgeber seine Gäste so dreist anfasst?“
Jens schüttelt seinen Kopf. „Nein, natürlich nicht, und ich fand deine Reaktion ganz gekonnt. Schade nur, jetzt hat sich dieser Tom gleich am Anfang die Sympathien des hübschesten Mädchens um ihn herum verscherzt. Das war dumm von ihm.“
Ich lege meinen Kopf ein wenig auf die Seite und sehe mein Gegenüber an. Flirtet der etwa mit mir? Und wenn ja, hätte ich etwas dagegen? Jens macht schon einen sehr netten Eindruck. Leider ist er so gar nicht mein Typ. Er erscheint mir zu bodenständig und stabil, ein wenig wie ein gemütlicher Teddybär. Ich mag Männer, die romantisch wirken. Ich mag dunkle Haare und unergründliche Augen. Sie dürfen auch ein wenig traurig sein, so als würde um den Mann ein spannendes Geheimnis schweben. Mein Traummann muss groß und schlank sein, gerne auch mit breiten Schultern. Leider passt Jens so ganz und gar nicht in dieses Schema.
Zum Glück kommt jetzt unser Essen, und es bleibt mir erspart, auf seine Bemerkung zu antworten.
Die Tortellini sind fantastisch, nicht nur, weil ich so einen Mordshunger habe. Ich muss vorsichtig sein, dass ich sie nicht zu schnell in mich hineinschlinge, denn sie sind noch sehr heiß.
Nach meinem ersten Happen lege ich die Gabel hin und greife wieder nach meinem Glas.
„Habe ich ein Glück!“, sage ich. „Jetzt wird aus einem totalen Reinfall doch noch ein netter Abend.“
Jens sieht mir tief in die Augen, ein bisschen zu tief für mein Gefühl, und sagt: „Das finde ich auch.“
Ich wende meine Augen ab und konzentriere mich auf mein Essen.
Jens sagt jetzt: „Vorhin, bei der Herfahrt, hattest du da nicht so glitzernde Drops an den Ohren?“
Hmm, das hatte er also auch bemerkt, denke ich.
Ich sage: „Ja, aber sie waren mindestens ebenso brutal wie die Schuhe. Ich musste sie abmachen.“
Jens schaut auf meine Ohrläppchen.
„Stimmt, deine Ohren sind ja immer noch ganz rot.“ Er streckt eine Hand aus und berührt mein eines Ohrläppchen sanft.
Ich ziehe meinen Kopf schnell zurück, obwohl ich nicht sagen kann, dass mir die Berührung sehr unangenehm war. Aus seinen Worten höre ich so etwas wie echtes Mitleid heraus, das mir irgendwie gut tut.
„Ich kenne das Problem“, sagt Jens.
Ich verschlucke mich fast an einem Tortellini.
„Wie bitte?“, frage ich.
Jens lacht. „Na ja, nicht ich persönlich, aber ich habe drei Schwestern. Die tragen auch gelegentlich Clips. Für die muss ich die Befestigungen immer justieren.“
„Ach“, staune ich, „geht das überhaupt?“
„Ja“, sagt Jens, „man braucht nur das nötige Know-How und ein Taschenmesser.“
Ich wühle in meiner Handtasche. Dort finde ich, was ich suche: ein kleines Taschenmesser mit Nagelfeile und kleiner Schere, dass mir eine Tante mal zu einem Geburtstag geschenkt hatte.
„Etwa so eins?“, frage ich.
„Genau“, sagt Jens.
Ich hole die Ohrringe heraus und lege sie auf den Tisch.
Jens nimmt das Messer und klappt die Klinge auf. Dann setzt er die Spitze vorsichtig an die Feder des Clip-Mechanismus und hebelt behutsam daran herum. Dabei zieht er das Kinn ein und schiebt seine Unterlippe vor. Er wirkt sehr konzentriert und auch irgendwie süß, wie ein Kind, das ein besonders schönes Bild malen möchte. Ich überlege, dass ich auch gerne einen Bruder hätte, der so etwas für mich macht.
„So“, sagt Jens jetzt, „probiere mal.“
Ich klemme den Ohrring an mein rechtes Ohr. Er sitzt perfekt, nicht zu fest und nicht zu locker. Ich schüttle ein wenig mit dem Kopf, aber der Clip hält.
„Super“, sage ich, „das hast du ja toll hin gekriegt. Machst du den anderen auch noch?“
„Na klar.“
Wieder konzentriert Jens sich auf seine Bastelarbeit.
Ich sehe mich inzwischen im Lokal um. Es ist nett eingerichtet. Überall stehen Weinflaschen. Dazwischen blitzen geschmackvolle Windlichter. Das Mobiliar ist schlicht aber gediegen. Im Hintergrund läuft eine CD
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