Verliebt in einen Gentleman
mit italienischen Liebesliedern. Die Gäste um uns herum sind heiter und plaudern so zufrieden, wie es nur Menschen tun, die gerade gut essen, oder gut gegessen haben. Ich bin so froh, dass ich hier gelandet bin.
Meine Tortellini-Portion ist bald alle, und ich fühle mich rundum wohl, warm, satt und zufrieden. Ich beneide die anderen Mädchen, die noch im Kasino sind, keinen Deut.
„Verflucht!“
Meine Aufmerksamkeit wird jäh auf Jens zurückgelenkt. Der Ohrring auf seiner Handfläche ist nicht allein. Daneben liegt ein silbernes Zünglein.
„Das ist mir noch nie passiert“, sagt Jens zerknirscht, „jetzt ist der Mechanismus zerbrochen. So ein Mist! Das habe ich nicht gewollt.“
Er sieht so traurig aus, dass ich lachen muss.
„Das ist doch nicht so schlimm, Jens. So edel sind die Dinger nicht. Oder dachtest du etwa, es wären echte Diamanten?“
Er schmunzelt. „Nein, natürlich nicht. Aber das muss nicht heißen, dass die Ohrringe dir nicht trotzdem wert und teuer sind“, jetzt guckt er wieder traurig, „und ich habe sie zerstört.“
„Ist doch egal“, lache ich, „ich kann ja einfach nur den einen tragen. Das sieht doch auch ganz peppig aus, guck.“ Ich schüttele mein Kopf, dass der Ohrring nur so schaukelt und blitzt.
Jens bewundert ihn, gleichzeitig schüttelt er aber auch seinen Kopf.
„Aus dir werde ich nicht richtig klug“, sagt er.
Was meint er damit? Findet er etwa, dass ich ein Freak bin? Ich runzele meine Stirn.
Jens fährt fort: „Wenn ich den Ohrring einer meiner Schwestern geschlachtet hätte, dann hätte es Zeter und Mordio gegeben. Ich glaube, man hätte mich erwürgt. Aber nein, du lachst nur darüber und es scheint dir wirklich nichts auszumachen.“
Ich zucke mit den Schultern. „Warum sollte ich mich aufregen? Es gibt doch wichtigere Dinge im Leben.“
„Ja“, sagt Jens, „aber es geht nicht nur um die Ohrringe. Ich habe dich heute Abend beobachtet.“
„Hm, durch den Rückspiegel“, sage ich mit gespielter Strenge.
Er lächelt. „Also, ich gebe zu, du hast mir gleich von Anfang an gefallen. Da ist etwas an dir – wie soll ich es beschreiben?“ Er denkt einen Moment nach, dann sagt er: „Ihr ward vorhin eine Truppe von fünf Mädchen, alle wild darauf, sich zu amüsieren. Die anderen vier Mädels waren aber irgendwie angespannt. Sie waren nicht nur wild darauf, sich zu amüsieren, sondern man spürte, dass sie das Ziel geradezu manisch ins Visier genommen hatten.“
Ich gucke skeptisch. „Und das willst du alles durch den Rückspiegel beobachtet haben?“
„Du würdest dich wundern, was ich
alles so beobachte. Menschen interessieren mich. Jedenfalls warst du so ganz anders. Du wirktest von Anfang an entspannt und gelassen, so als ob du dich sowieso schon amüsieren würdest.“
„Tat ich ja auch“, sage ich, „ich fand diese ganze Unternehmung irgend wie richtig witzig. Was für eine verrückte Idee, mit der Stretchlimo und fünf gut-aussehenden Mädchen zum Spielkasino zu fahren! Ich mag so etwas.“
Der Kellner unterbricht uns und fragt, ob wir noch etwas trinken möchten.
Jens wirft einen Blick auf seine Armbanduhr.
„Mensch“, sagt er, „die Zeit mit dir vergeht wie im Flug. Aber ich glaube, wir haben noch ein Weilchen, bis Tom uns ruft. Möchtest du noch etwas?“
Ich nicke und bestelle mir ein Glas Rotwein, Jens noch eine Cola.
Als der Kellner wieder davongeeilt ist, fragt Jens: „Wo waren wir noch stehen geblieben?“
„Dass mir diese Art Happening gefällt“, sage ich. „Was ist schon dabei?“
Aber Jens sagt: „Es ist nicht nur das. Überlege doch mal, wie der Abend weiter gegangen ist. Erst wirst du vom Gastgeber angefasst.“
„Unsittlich berührt“, sage ich.
„Genau. Aber statt dich aufzuregen, bleibst du völlig cool und souverän. Und dann geht es weiter: Du gehst ins Kasino und musst feststellen, dass ihr über hundert Kilometer von Münster nach Hohensyburg gefahren werdet, nur damit das Geburtstagskind seinen tollen Auftritt hat, als großer Macker, der von schönen Frauen umgeben ist. Danach lässt er euch links liegen und kümmert sich nicht um eure Belange. Was für ein Idiot ist das denn?“
„Ein ziemlicher“, werfe ich ein, „aber ich weiß immer noch nicht, was du mir eigentlich sagen willst.“
Der Kellner kommt mit unseren Getränken. Wir heben unsere Gläser, prosten uns gegenseitig zu und trinken einen Schluck. Der Wein ist gut und wärmt mich bis in die Zehenspitzen, denen auf dem
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