Verliebt in einen Unbekannten
Krematoriumskapelle. Die beiden hatten fest die Arme umeinander geschlungen. Nessie, Katy und ich taten es ihnen gleich, und ich fühlte mich stark und beschützt von meinen beiden schönen Schwestern rechts und links von mir.
Wir nahmen auf der Kirchenbank Platz, und ich fühlte, wie von hinten jemand meine Schulter drückte. Es war Hailey. »Ich hab dich lieb«, murmelte sie. Eine Träne rollte ihr übers Gesicht.
Sam, der neben ihr saÃ, lächelte mich freundlich an. »Ich bin so stolz auf dich, Chas«, flüsterte er. Und genau dieser Moment â ihm in seine schönen, grünen Augen zu blicken â bewirkte, dass ich loslieà und anfing zu weinen. Ich weinte und weinte und weinte.
Heute war einer der traurigsten Tage meines Lebens, doch es fühlte sich an, als sei er gleichzeitig einer der glücklichsten. Wie ungewiss mir die Zukunft im Augenblick auch erschien â ich wusste, dass ich bereit war für die Herausforderung. Bereit für das Unbekannte. Endlich bereit herauszufinden, wer Charlotte Lambert wirklich war.
Kapitel achtzehn
»Was zum Teufel hast du denn hier zu suchen?«, murmelte ich, verschlafen, doch ziemlich amüsiert. Malcolm drehte sich um, um sich zu vergewissern, dass ihn niemand entdeckt hatte, dann wedelte er mit dem Schwanz. »Malcolm, wenn sie dich hier oben erwischen, kriegst du schrecklichen Ãrger.« Er wedelte noch heftiger und grinste mich an, als wäre ich die umwerfendste Frau auf der Welt. »Geh runter, bevor wir ausgeschimpft werden«, sagte ich zu ihm. »Nun mach schon, du verrücktes Viech.«
Malcolm verwarf diesen Vorschlag und beschloss, stattdessen zu meinem Bett zu trotten, wo er seine Nase freudig unter meine Bettdecke steckte.
»Nein!« Ich sprang aus dem Bett, hielt auf dem Treppenabsatz Ausschau nach Anzeichen menschlichen Lebens und schlich, als die Luft rein war, mit ihm die Stufen hinunter. »Du bist ja ein ganz unartiger Junge«, sagte ich zu ihm, als er mit seinem breiten Kopf gegen die Schranktür stieÃ, hinter der sein Fressen aufbewahrt wurde. Ich maà ihm sein Trockenfutter ab und fügte ein bisschen Wasser hinzu, dann versuchte ich, die Schüssel auf den Boden zu stellen, bevor er seinen Kopf darin versenkte â doch vergeblich.
Ich setzte mich an den Küchentisch und schaute ihm liebevoll lächelnd beim Fressen zu. DrauÃen war es kalt und schön. Grelles Winterlicht fiel durch die kahlen Zweige und erhellte winzige Spinnweben und alten Staub auf dem Küchenfenster. Eine Katze saà auf unserem Torpfosten und fixierte einen einsamen Vogel, der von Dads Apfelbaum herab sein Liedchen trällerte. Es war herrlich still, das einzige Geräusch kam von dem Entlüftungsrohr der Heizungsanlage, das nach drauÃen führte und eine Dampfsäule in die Luft entlieÃ. Sie schlängelte sich empor und löste sich dann auf.
Ich ging hinüber zum Herd, vorbei an den Gläsern von gestern Abend, rotfleckigen Weingläsern und Scotch-Tumblern voll mit geschmolzenem Eis. Es war eine schöne Beerdigungsfeier gewesen. Nach einem unbeholfenen, traurigen Start hatten wir uns entspannt und uns Geschichten über Granny Helen erzählt, die meisten davon sehr komisch. Meine Tanten, Onkel und Cousinen, eine Handvoll Nachbarn, auÃerdem Hailey, Sam und Sarah, waren bis zum bitteren Ende geblieben und schliefen jetzt noch tief und fest, verteilt übers ganze Haus und Granny Helens Cottage nebenan. Malcolm und ich waren die Einzigen, die schon auf den Beinen waren. Ich verspürte noch immer das Gefühl der Geborgenheit, das ich schon gestern empfunden hatte, was an den Menschen lag, die mich umgaben: Bei ihnen konnte ich mich sicher fühlen.
»Ich habe keinen Job mehr«, teilte ich Malcolm mit und nahm den Kessel mit dem kochenden Wasser vom Herd. Er legte seinen Kopf schräg, was lustig aussah, und leckte sich die Reste seines Frühstücks von der Nase. »Ach, Malcolm«, sagte ich zu ihm, »ich liebe dich.« Das genügte ihm als Aufforderung, hochzuspringen und sein Gesicht an meinen Bauch zu drücken.
»Morgen«, ertönte eine verschlafene Stimme von der Tür her. Es war Sam, der sich in eine alte Decke gehüllt hatte. Nach der Nacht auf dem Sofa hatte er eine äuÃerst lustige Irokesenfrisur. »Zu einer Tasse Tee würde ich nicht Nein sagen«, teilte er mir mit. Er zog einen Stuhl unter dem
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