Verliebt in einen Unbekannten
Bushaltestelle in Sicht war, machte mir meinen groÃartigen Abgang nicht unbedingt leichter, doch ich ging davon aus, binnen der nächsten zwanzig Minuten auf einen Bus zu stoÃen, der mich zu meinen Eltern bringen würde. Das war alles, was im Augenblick zählte.
Ich hatte Ness nicht erreichen können, also hatte ich schlieÃlich Sam angerufen, der versprochen hatte, herzukommen und mich abzuholen. Allerdings rechnete ich nicht damit, ihn allzu bald zu sehen: Er besaà nämlich kein eigenes Auto.
Ich war immer noch wie vor den Kopf geschlagen von den Ereignissen der letzten Stunde, und zwar derart, dass ich nicht mal wusste, wie ich mich eigentlich fühlte. Als Sam sich danach erkundigt hatte, hatte ich eine Art Knurren von mir gegeben, dann war ich über ein Schlagloch gestolpert und hatte mein Handy fallen lassen. In meiner Brust verspürte ich eine unglaubliche Leichtigkeit, doch ich war mir bewusst, dass das durchaus der Atemlosigkeit des Schocks zuzuschreiben war und nicht etwa einem metaphysischen Freiheitsgefühl.
Doch trotz all der Gedanken und Emotionen, die in mir herumwirbelten â Panik, Unglauben, Erstaunen, Zorn, Freude â, gab es etwas, dessen ich mir absolut gewiss war, und das war die Tatsache, dass John nicht der Mann war, für den ich ihn gehalten hatte.
Er war ein Schwächling.
Was mich zutiefst schockierte. John war mir stets als der stärkste, selbstsicherste Mann vorgekommen, den ich kannte, und genau das war es, was mich sieben Jahre lang in Bann geschlagen hatte.
Und ebendieser John hatte solchen Schiss vor Bradley Chambers, dass er mich ins Büro gelockt hatte, um mich â ja, was? Mich zu kidnappen ?Was hatte er eigentlich vorgehabt? Mich zusammengeschnürt in den Kofferraum zu verfrachten und auf dem Kongress wieder rauszuholen? Das war doch lächerlich! Die Vorstellung, dass er sich mir in den Weg gestellt und mich davon abgehalten hatte, das Gebäude zu verlassen ⦠Das war wirklich ziemlich krank.
»John ist ein Schwächling«, sagte ich laut. »Ein Schwächling!«
Doch dann kam mir ein anderer Gedanke. Ein ziemlich drastischer. Ich bin ebenfalls nicht gerade die Stärkste . Hatte ich mich nicht abgeschunden für Salutech? Hatte ich nicht noch vor einer guten Stunde meine Familie an einem der schwersten Tage im Stich gelassen, nur weil Bradley Chambers verfügt hatte, dass das so sein sollte?
» Ich bin ein Schwächling«, murmelte ich und löste meine Strümpfe von einem Brombeergestrüpp.
» ICH BIN EIN SCHWÃCHLING !«, versuchte ich es, ein bisschen lauter diesmal, und fühlte mich groÃartig. Ich war keine schottische Amazone oder sonst eine starke Kämpferin. Ich war bloà ein weiterer schwacher, ganz und gar nicht perfekter Mensch, eine junge Frau, die ihr Leben mit Arbeit verwechselte, weil sie im Grunde keine Ahnung hatte, wie sie leben sollte.
» ICH BIN NICHT STARK !«, brüllte ich und musste unweigerlich grinsen. » JUCHHU !«
Ein LKW -Fahrer hupte mich an, offenbar verblüfft über den Anblick einer eins achtzig groÃen Frau, die in Kostüm und hohen Schuhen über den Grasstreifen stolperte und dabei laut vor sich hin schimpfte. Ich winkte ihm zu. » JA !«, schrie ich und fühlte, wie sich meine Schulterblätter lockerten. » ICH BIN EINE IRRE !«
Hinter mir ertönte eine weitere Hupe. Ohne mich umzudrehen, hob ich die Hand und rief: » VERPISS DICH !«
»Charley!«, schrie eine Männerstimme. »Steig ins Auto ein, du Wahnsinnige!«
Ich fuhr herum. » SAAAM ! Sammyyyyyyyyyy!«
Sam grinste, beugte sich vom Fahrersitz zu mir herüber und öffnete die Beifahrertür. »Ach du liebe Güte«, sagte er, als ich meine Tasche auf die Rückbank schleuderte und hineinsprang. »Ach du liebe Güte, jetzt bist du völlig durchgedreht!«
»Jippieee!«, jubelte ich. » YEAH !«
Sam fuhr los und drückte dabei das Gaspedal durch, weil sich hinter uns ein weiterer LKW näherte. Er lachte. »Oh, Chas, was für ein glorreicher Tag!«
Wir beide juchzten ein bisschen, dann lehnte ich mich im Sitz zurück und versuchte, es mir bequem zu machen. »Warte«, sagte ich, zog meine Schuhe aus und warf sie durchs Fenster auf den Randstreifen. Dann legte ich die FüÃe aufs Armaturenbrett und lachte über die vielen Laufmaschen in meinen Strümpfen.
»Wir nehmen sie
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