Verliebt in einen Unbekannten
Krankenhaus angerufen, um mich auf den neuesten Stand, Granny Helens Gesundheitszustand betreffend, zu bringen. Während ich mit Mum plauderte, hatte ich plötzlich das Gefühl, beobachtet zu werden. Und da stand er, vor einem Fenster im zweiten Stock, und lächelte mich freundlich an. Als ich ein paar Minuten später durch die Rezeption zum Aufzug ging, öffneten sich die Fahrstuhltüren, und er kam herausmarschiert.
»Komm, lass uns einen Spaziergang machen!«, schlug er vor, fasste mich am Ellbogen und führte mich hinaus. Sein Benehmen überraschte mich. John arbeitete genauso hart und obsessiv wie ich; er war schlichtweg nicht der Typ für Herbstspaziergänge. Ich blickte ihn an, und er grinste auf seine übliche dreiste Art zurück. Wir schlenderten die baumbestandene Auffahrt entlang.
»Lambert ⦠du hast einfach zauberhaft ausgesehen, dort auf der Bank in deinen herbstlichen Wollsachen.« Er strahlte. »Alles okay?«
»Prima«, erwiderte ich kurz angebunden. Ich wusste nicht, worauf er hinauswollte, aber ich wusste, dass ich mir alle Mühe geben musste, um nicht mit ihm zu flirten.
John steckte seine Hände in die Taschen. Sein freches Zahnpastagrinsen verschwand. »Hast du einen neuen Freund, Lambert?«, fragte er plötzlich.
Ich war schockiert. Er hatte sich noch nie nach meinem Liebesleben erkundigt, war stets davon ausgegangen, dass ich Single war. Wieder fingen die Rädchen in meinem Kopf an zu rotieren. Warum fragte er mich das? Hatte das etwas zu bedeuten? Sollte ich Ja sagen, bloà um zu sehen, was dann passierte? Halt die Klappe , befahl ich mir selbst, halt einfach die Klappe.
Doch es war zu spät. Ich war bereits berauscht von der Möglichkeit, dass John eifersüchtig war, und deshalb setzte ich, anstatt zu leugnen, ein undurchschaubares Gesicht auf. »Warum fragst du?«
Nun war es an ihm, erstaunt dreinzublicken. Ganz offensichtlich hatte er fest damit gerechnet, dass ich verneinen würde.
»Oh. Nun, du schienst sehr vertieft in das Telefonat, das du gerade geführt hast«, sagte er. Zum ersten Mal, seit wir uns kannten, klang John MacAllister ein wenig verlegen.
Ich fing an zu lächeln. Er war doch tatsächlich eifersüchtig! Das war der Hammer! »John«, sagte ich sanft, »das war meine Mum. Meine GroÃmutter hatte einen Schlaganfall und wurde heute aus dem Krankenhaus entlassen. Ich habe angerufen, um mich zu erkundigen, wie es ihr geht.«
John zog eine Augenbraue hoch, und für eine Sekunde entdeckte ich etwas in seinem Gesicht, wenn auch nur flüchtig, das verdächtig nach Erleichterung aussah.
»Das tut mir leid, Lambert. Warum in Gottes Namen hast du mir nicht davon erzählt? Was kann ich tun?«
Ich war gerührt. »Nichts. Es war ein Schlaganfall. Du weiÃt, was das bedeutet.«
John war stehen geblieben. »Bitte, Lambert«, hatte er leise gesagt. »Lass mich dich doch ab und zu ein bisschen unterstützen.«
Sam beäugte mich neugierig.
»Ãhm, die sind doch tatsächlich von John«, stammelte ich. Mein Gesicht wurde puterrot.
Sam machte ein erstauntes Gesicht. »Läuft da immer noch was?«
Es war mir nach wie vor peinlich, dass ich ihn wegen der Blumen so angemacht hatte. Was, wenn Sam nun dachte, ich hätte mir gewünscht , er würde mir so einen Strauà schenken? Grrr! »Zwischen John und mir wird immer etwas laufen«, gab ich zurück und lächelte geheimnisvoll.
Sam schüttelte grinsend den Kopf. »Du kleines Luder«, sagte er und verlieà zum dritten Mal an diesem Morgen das Haus, um zum Joggen zu gehen.
Ich setzte mich, nahm den Salutech-Ordner aus meiner Aktentasche und arbeitete sechs Stunden ohne Pause durch. Ness und ich würden heute Abend zu meinen Eltern fahren, um Granny Helen zu besuchen, da konnte ich keine verwirrenden Gedanken, Männer betreffend, im Kopf herumschwirren haben. Und wie immer sorgte die Arbeit dafür, dass mir keine Zeit für solchen Unsinn blieb. Als ich mich mit Ness traf, war mein Kopf klar, und ich war wieder Charley Lambert.
Wir saÃen auf der hinteren Bank des 44D-Busses, genau an dem Platz, an dem wir als Teenager auf dem Heimweg von der Schule immer gesessen hatten. Ness telefonierte mit ihrer Freundin Sarah, und ich lieà mich gegen das Fenster sacken und starrte hinaus. East Lothian zog an uns vorbei: Kartoffelfelder, über die sich die Dämmerung
Weitere Kostenlose Bücher