Verliebt in einen Unbekannten
hinabsenkte, die alte Burgruine und die jetzt grau aussehenden Hügel, die sich in alle Richtungen erstreckten. Obwohl es mich reizte, wieder selbst zu fahren, liebte ich Busfahrten. Seit Jahren schon hatte ich nicht mehr die Aussicht genossen, die Busfenster einem boten.
Ich war müde, doch ich fühlte mich groÃartig, verspürte ein freudiges Kribbeln. Ich hatte heute jede Menge für Salutech nachgearbeitet und war hochzufrieden damit, dass es sich bei meinem First-Date-Aid-Abgesang um das Projekt William und Shelley handelte. Es fühlte sich gut an, jemandem auf die Sprünge zu helfen.
Wie besprochen hatte Sam Shelley geantwortet und ein Treffen am Freitagabend statt am Donnerstag vorgeschlagen â und ich wartete auf ihren nächsten aufgeregten Anruf aus New York. Ich grinste und fragte mich, ob ich mir am Tag nicht doch ein klitzekleines Zeitfenster für First Date Aid schaffen könnte. Nur um ein bisschen mitzumischen â¦
»Woran denkst du?«, fragte Ness, die gerade ihren Anruf beendet hatte. Sie trug eine Kniebundhose mit Aztekenmuster, dazu dicke Strümpfe und sah einfach entzückend aus.
Ich schaute aus dem Fenster. Der Bus zockelte durch Haddington. »Mir wird gerade klar, dass ich tatsächlich ein Workaholic bin.«
»Ach was. Und?«
»Und es geht mir gut dabei. Es gibt mir das Gefühl, am Leben zu sein.«
Ness nickte, obwohl klar war, dass sie mir nicht zustimmte. »Workaholics sind irgendwann ausgebrannt«, gab sie nach kurzem Zögern zu bedenken. »Ich möchte nicht, dass dir das passiert.«
Ich erwiderte nichts.
»Wie sind denn im Augenblick deine Arbeitszeiten?«
»Genau so, wie man es in der Woche vor der gröÃten Produkteinführung aller Zeiten erwartet. Ness, bitte halt mir keine Predigt. Ich bin müde.«
Ness sagte nicht: »Das meine ich ja.« Und dafür war ich ihr dankbar. Für ihre Fähigkeit, sich herauszuhalten. Das war in unserer Familie nicht gerade eine Tugend. Wir fielen in kameradschaftliches Schweigen.
Der Bus näherte sich nun East Linton, und mein Handyempfang war bereits auf drei Balken zurückgegangen. Shelley Cartwright in New York musste das gespürt haben, denn sie wählte genau diesen Augenblick, um mich anzurufen.
» CHARLOTTE !«, brüllte sie. Inzwischen hatte ich mich an ihre BegrüÃung gewöhnt.
»Shelley.«
» ER HAT MICH ABBLITZEN LASSEN !«, jammerte sie.
Verdammt. Was hatte Bowes angerichtet?
»Ãhm, wie das denn?«
Der Bus hielt auf dem groÃen Platz in der Stadtmitte, und Ness half mir hinaus, während ich mit meinen Taschen und Johns Blumen kämpfte, um ja nicht das Handy fallen zu lassen. Dann zockelten wir im Schneckentempo die StraÃe entlang. » MIIIST !«, kreischte es aus dem Telefon. Ness blickte mich beunruhigt an. »Ich habe ihm Donnerstag vorgeschlagen, und er will mich stattdessen am Freitag treffen! VERRRDAMMMT !«
»Ich ⦠ich verstehe nicht, wo das Problem liegt«, sagte ich vorsichtig. »Freitag ist doch wunderbar für ein Date!«
»Ja, schon, aber er hat mir für Donnerstag EINEN KORB GEGEBEN ! Ich reiÃe mir ein Bein aus, und er sagt Nein! Wäre er wirklich an mir interessiert, würde er alle anderen Termine canceln, ganz egal, worum es dabei geht. Er hat bestimmt noch eine andere Verabredung! Das WEISS ich!«
Für einen Augenblick war ich sprachlos: Shelley war wirklich wahnsinnig. Ich dachte an meine eigenen verrückten Aktionen und fühlte mich schlagartig besser. Offenbar konnte die Liebe selbst gestandene Karrierefrauen in durchgedrehte Jammergestalten verwandeln. »Das glaube ich nicht«, antwortete ich, so ruhig ich konnte. »William könnte am Donnerstag alles Mögliche vorhaben. Er könnte sogar auf einer Beerdigung sein!«, fügte ich mit fester Stimme hinzu.
»Er hat eine andere«, beharrte sie. »Ich wusste, dass es nicht hält. Das lag bestimmt an den grauenhaften E-Mails, die ich ihm geschickt habe!«
»Unsinn, Shelley, es ist offensichtlich, dass er dich mag. Hast du denn Zeit am Freitag?«
»Ãhm, ja«, erwiderte sie verlegen. »Aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass er â¦Â«
»Nein, das ist der Punkt«, fiel ich ihr entschieden ins Wort. »Wenn du Zeit hast, dann triff dich mit ihm.«
Ich hörte, wie Shelley einen Schluck von irgendeinem Getränk nahm.
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