Verliebt in Hollyhill: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Es hatte noch einige Stunden gedauert, bis sich plötzlich etwas bewegt hatte unter Emilys Füßen, ein Grollen, das tief aus dem Inneren der Erde herzurühren schien. Sie hatte schon befürchtet, sie würden nicht mehr zurückkehren ins 21. Jahrhundert, weil sie sich falsch entschieden hatte – falsch aus der Sicht von wem auch immer –, aber dann war es eben doch passiert.
Einen Augenblick lang hatte sie überlegt, Matt zu bitten, mit ihr einen Ausflug nach Travestor House zu unternehmen statt ans Meer. Doch die Vorstellung, tatsächlich ein Grab zu finden, in dem Milly vor langer Zeit verscharrt worden war, war einfach unerträglich.
Sie selbst hatte sich nie vorstellen können, einmal Kinder haben zu wollen, und jetzt wusste sie auch, weshalb. Ihre Verlustängste waren einfach zu groß, sie konnte mit diesem Schmerz nicht umgehen, sie konnte ja nicht einmal eine Katze haben. Und sie wusste mit einem Mal, dass es Matt genauso ging. Der Schutzschild, den er sich über die Jahre zugelegt hatte, musste riesig sein und undurchlässig, und es grenzte an ein Wunder, dass sie beide sich trotzdem aufeinander eingelassen hatten. Es war ein mutiges, ungeheuerliches, sinnfreies Wunder, wo doch beiden klar gewesen war, von Anfang an, wie es enden würde.
Emily öffnete die Augen, hob eine Hand und legte sie an Matts Wange. »Es tut mir leid, dass ich dich als Lügner bezeichnet habe«, sagte sie.
»Wow«, sagte er. »Wann war das denn?«
»Vor dem Billardspiel, du weißt schon. Bei Mrs. Gordon im Pub. Als ich dich beschuldigt habe, dass du aller Welt etwas vormachst.« Sie ließ die Hand sinken. »Ich weiß jetzt, warum du das tust. Es ist wichtig, sich … einen gewissen Abstand zu bewahren.« Sie ließ den Blick zurück aufs Wasser schweifen, zu der Linie am Horizont, die das Meer vom Himmel trennte.
Einige Minuten lang saßen sie so, dann sagte Matt: »Lass uns davon ausgehen, dass sie ein wundervolles Leben hatte, okay? Sie lernte einen prachtvollen Mann kennen, der sie mit auf sein ausladendes Gut nahm, wo er ihr jeden Wunsch von den Augen ablas, während sie zeichnete, Kekse aß und kleine Schweine züchtete.«
Emily lächelte.
»Ganz abgesehen davon«, fuhr er fort, »hattest du absolut recht, mich als Lügner zu bezeichnen. Schließlich bin ich einer. Ein ziemlich guter sogar.«
Emily drehte ihm das Gesicht zu, sagte aber nichts.
»Erinnerst du dich an den Abend, als wir zum ersten Mal George Forleys Briefe gelesen haben? Ich hab dir gesagt, ich sei in dein Zimmer gekommen, um zu fragen, ob du deine Meinung geändert hast und ob du nicht doch lieber zurück nach Hollyhill fahren möchtest.«
Sie nickte.
»Das war gelogen«, sagte Matt.
Emily sagte nichts. Dann flüsterte sie: »Ich weiß.«
Matt hob eine Augenbraue. »Hast du deshalb dieses wirre Zeug geredet?«, fragte er. »Von Geschirrspülen und Wäschewaschen und Teppichklopfen?«
Sie nickte wieder.
»Weil du Angst hattest, ich würde … was tun?«
Jetzt starrte sie ihn an.
»Was genau?«
Keine Antwort.
»Emily?«
Emily räusperte sich. »Dieses Gespräch anzetteln«, murmelte sie, aber sie war kaum zu verstehen.
»Was?«, fragte Matt, und Emily stöhnte auf.
»Himmel, Matt!«, rief sie, und auf einmal musste sie lachen, und er lachte auch.
»Okay, schon gut.« Er grinste.
Emily sagte: »Du bist nicht die einzige Person mit einem Schutzschild, okay?« Es sollte wie ein Scherz klingen, doch sie meinte es ernst, und Matt verstand es. Er nahm ihre Hand. »Okay«, wiederholte er.
Sie wusste, was er hören wollte. Sie wusste nur nicht, was geschah, wenn sie es tatsächlich aussprach. Gleich würde sie es wissen.
»Ich sage es, wenn du möchtest.« Emily funkelte ihn an, sie holte Luft, und »Ich …«, begann sie, doch in diesem Augenblick hielt Matt ihr mit einer Hand den Mund zu, drückte sie mit der anderen in den Sand und begann, sie zu küssen.
Als er sich wieder aufsetzte, zog er Emily mit nach oben. Er legte einen Arm um ihre Schultern, und sie lehnte den Kopf an seine Brust. Er roch nach Sonne und nach Salz, und Emily fühlte sich ihm so nah, dass es wehtat.
Sie spürte seinem Kuss auf ihren Lippen nach, als er ihr ins Ohr flüsterte: »Sag es mir, wenn wir uns wiedersehen.«
Der Zug hatte Verspätung und der langgezogene Abschied lag Emily schwerer und schwerer im Magen. Es war nicht so, dass sie wegwollte, natürlich nicht. Es war nur so, dass die betonte Fröhlichkeit zwischen Matt und ihr, die demonstrative Leichtigkeit,
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