Verliebt in Hollyhill: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
den Blick über den Hügel schweifen, zu dem Baum, in dessen Schatten sie durch die Zeit gesprungen waren. Unter dessen Zweigen sie sich geküsst hatten – zum zweiten Mal.
»Emily«, sagte er und wandte sich ihr wieder zu. Er hob eine Hand, und Emily meinte schon, er wollte sie berühren, ihr über die Wange oder eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht streifen, und wie von selbst begann ihr Herz zu flattern, doch dann ließ er sie wieder sinken und vergrub sie ebenfalls in den Taschen seiner Jeans. »Was in den vergangenen Tagen geschehen ist …«, setzte er an. Und weiter kam er nicht.
»Matt! Emily!« Sillys glockenhelle Stimme wirbelte zu ihnen herüber und ließ sie beide zusammenfahren. Emily sah zu dem Garten ihrer Großmutter, wo eine grinsende Silly die Stufen des alten Steincottages hinunter und auf den Rasen hüpfte, gefolgt von Matts Bruder Josh und Pub-Besitzer Adam, die eine schwere Holzplatte zwischen sich manövrierten. Emily konnte nicht verhindern, dass sie rot wurde, während Silly auf sie zulief. Sie fühlte sich ertappt, obwohl ganz und gar nichts geschehen war zwischen Matt und ihr. Und als habe Silly diese Unsicherheit bemerkt, blieb sie in der Mitte des Rasens stehen und schirmte mit einer Hand ihre Augen gegen die Sonne ab.
»Ihr verpasst noch eure eigene Willkommensparty«, rief sie. »Alles ist vorbereitet, wir müssen nur noch den Tisch decken.« Sie wartete einen Augenblick, dann bedeutete sie ihnen mit einer Geste, ihr zu folgen, drehte sich um und lief ins Haus zurück.
»Willkommensparty?«, echote Emily.
Matt fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. »Jesus«, murmelte er. Er sah Emily an. »Wir reden später, okay?«
Emily nickte, doch es war, als schnürte ihr etwas die Kehle zu.
Sie war sich nicht sicher, ob sie wirklich hören wollte, was Matt ihr zu sagen hatte.
Ganz und gar nicht.
Die Inszenierung im Garten erinnerte Emily an die Teegesellschaft aus »Alice im Wunderland«: Zwischen zwei knorrigen Apfelbäumen hatten Josh und Adam den riesigen, schweren Holztisch aufgebaut, den nun eine weiße Decke mit übergroßen Mohnblüten zierte. Überall dort, wo sie nicht unter bunten Kannen und Tassen und Tellern verschwanden, leuchteten sie in dem Rest Sonne, der den kleinen Garten wärmte und den Duft nach frisch gebackenen Scones noch zu verstärken schien.
An den Längsseiten der Tafel rieben die Armstützen massiver Holzstühle aneinander, und an ihrem Kopf, da saß der Junge, der Matt zufolge Cullum hieß, und gab als bislang einziger Gast eine äußerst merkwürdige Figur ab. Während Emily sich über eine der hohen Stuhllehnen beugte, um die Etagere mit Gurken- und Lachssandwiches, die ihr Silly in die Hand gedrückt hatte, zwischen all das Geschirr zu schieben, lugte sie unter dem Pony hervor in seine Richtung.
Cullum saß, nein, er thronte an einem Kopfende des Tisches, einen Fuß auf seinen Stuhl drapiert, einen Grashalm zwischen den Lippen, das weiße, flattrige Hemd viel zu weit aufgeknöpft. Die Augen geschlossen, das Gesicht der Sonne entgegengestreckt. Ein Zylinder saß auf seinem Kopf, und Emily konnte einfach nicht wegsehen. Eine ganz eigenartige Faszination ging von dem Jungen aus. Seine Körperhaltung wirkte entspannt und ungezwungen, und trotzdem vermittelte er ihr das Gefühl, als nähme er jede Kleinigkeit um sich herum wahr, als entginge ihm nichts. Als Cullum die Augen abrupt öffnete und in ihre Richtung blickte, hielt Emily den Atem an: Die Farbe seiner Iris war von einem stechenden Hellgrün, das beinahe transparent wirkte, und dann wusste sie es mit einem Mal. Eine Katze. Er sah aus wie eine Katze. Cullums Mund formte sich zu einem breiten Grinsen. Grinsekatze und verrückter Hutmacher zugleich.
»Hat dir noch nie jemand gesagt, dass es sich nicht schickt, so zu starren?«
Als die frostige Stimme Emily aus ihren Gedanken riss, zuckte sie zusammen, das Porzellan in ihrer Hand klackerte gegen Teller und Tassen. Sie war sich sehr wohl bewusst, dass sie nun Cullums volle Aufmerksamkeit genoss, doch sie stellte langsam das Geschirr auf dem Tisch ab und richtete sich auf. Das Mädchen lächelte nicht einmal.
Sie war einen halben Kopf größer als Emily, ihr langes, glattes Haar glitzerte weiß in der Abendsonne, ihre schwarz lackierten Fingernägel ließen die silbrige Haut noch heller erscheinen. Trotz ihrer Größe wirkte sie zart und fragil, doch diese Zerbrechlichkeit spiegelte sich keineswegs in ihren Augen wider. Nicht ein bisschen. Sie waren
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