Verliebt, verlobt, verflucht
und ihn zur Schnecke machen, wenn er nicht bald auftaucht. Aber keine Angst, ich führe ihn nicht in den Salon. Das letzte Mal haben ihn die beiden Kampfhähne fast komplett verwüstet. Und keine Bange, Süße, du siehst umwerfend aus.« Gingin zwinkert Natalie aufmunternd zu und verlässt lächelnd den Salon.
Natalie ist nun allein. Sie zittert und atmet schwer.
Ist das Korsett so eng oder schnürt ihr die Nervosität die Luft ab? Jeden Moment würde Artus durch den Spiegel der Frisierkommode brechen. Auf keinen Fall darf siewirken, als habe sie gewartet. Aber Artus vor dem Frisiertisch sitzend zu empfangen, würde auch ein falsches Signal senden. Schließlich soll es nicht danach aussehen, als ob sie sich für ihn hübsch machen würde. Er soll ruhig glauben, sie liefe den ganzen Tag in dieser Aufmachung herum. Natalie blickt sich suchend im Salon um. Er hat schon einmal bessere Tage erlebt. Die Sitzgarnitur ist abgenutzt, der Hauskobold hat schon oft neue Flicken aufnähen müssen. Der Kronleuchter ist von Spinnweben eingehüllt, in den Brokatvorhängen wohnen Motten und die Möbel aus Zedernholz bevölkern Holzwürmer. Sie könnte sich ein Buch aus dem verstaubten Regal nehmen und vortäuschen, dass sie gerade über einem Schmöker brütete und ihr das bevorstehende Date nebensächlich sei. Natalie läuft, so schnell es das schwere Samtkleid zulässt, zum Bücherregal, zieht wahllos ein Buch heraus und lässt sich damit in den Ohrensessel fallen.
»Himmel, ist das viel Staub«, hustet sie, als sie das Buch aufschlägt.
Keine Sekunde später räuspert sich jemand vernehmlich im Spiegel. Natalie zuckt wie immer in diesen Momenten zusammen, sie kann sich einfach nicht daran gewöhnen.
Dennoch versucht sie, sich gelassen zu geben, als sie sich aus dem Ohrensessel erhebt, das Buch weglegt und langsam auf den Spiegel zuschreitet. Dort, wo eben noch der Salon gespiegelt wurde, schaut das freche Gesicht eines jungen Mannes hervor. Umrahmt ist es von schwarzem, zerzaustem Haar, durch das er sich gerade verlegen fährt. Der Blick aus schwarzen Murmelaugen durchdringt Natalie begierig und zieht sie wie eine Marionette an durchsichtigen Fäden näher und näher an den Spiegel heran, bis sie das dicke Glas mit ihrer rechten Hand berührt.
»Guten Abend, meine Teure!«, sagt Artus mit seinem unwiderstehlichen Charme.
»Guten Abend, Artus«, haucht Natalie ergriffen.
»Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich würde lieber in deinem warmen, behaglichen Salon mit dir plaudern, anstatt dabei auf der Straße zwischen Pfützen und Ratten zu knien«, sagt Artus trocken und grinst Natalie frech an.
Sie grinst breit zurück: »Die Luft ist rein, Artus, du darfst eintreten.«
»Dann sei so lieb und öffne das Fenster, mein Schatz!«
Natalie erglüht bei dem Wort Schatz , streichelt noch einmal über den Spiegel und murmelt: »Bis gleich«, ehe sie ans Fenster stürzt und es öffnet.
Das Spiegelbild verschwindet, und als Natalie nach draußen blickt, erhebt sich der Rabe vom Boden und fliegt in den Salon. Sofort schließt Natalie die Fenster wieder und zieht beide Vorhänge zusammen.
Der Vogel löst sich vor ihren Augen in eine Spirale schwarzen Rauches auf, aus der schließlich Artus heraustritt. Höflich bleibt er einen Meter vor ihr stehen und zaubert einen Strauß schwarzer Rosen hervor. Natalie kichert, nimmt die Rosen entgegen und reicht ihm die freie Hand für einen Kuss.
»Sie müssen mir zum Gruß die Hand küssen, mein Herr.«
»Nichts ist mir lieber als das, junges Fräulein«, flüstert Artus und kniet vor ihr nieder. Er sieht Natalie durchdringend an und sie versinkt in seinen unergründlichen Murmelaugen. Sanft küsst er ihre Hand.
»Du siehst bezaubernd aus, meine Schöne!«
»Danke, Artus, aber jetzt komm wieder nach oben«, lacht Natalie aus Verlegenheit überdreht.
Das Lachen verschwindet aus Artus' Gesicht, er wird ernst und wirkt beinahe hilflos.
Natalie ist verwirrt. Was hat das nur zu bedeuten?
Seine freie Hand nestelt in seiner Hosentasche, bis er eine kleine rote Samtschatulle, die mit schwarzen Rosen verziert ist, hervorzieht und in die Höhe hält.
Natalie bleibt das Herz stehen. Ist es das, wonach es aussieht?
Artus räuspert sich, ehe er mit belegter Stimme fortfährt: »Natalie, willst du meine –«
Die Salontür wird mit einem Knall aufgestoßen und schlägt krachend gegen die Wand. Im Türrahmen steht Gingin, das Gesicht wutverzerrt, die Augen gerötet und die Haare
Weitere Kostenlose Bücher