Verliebt, verlobt - verrueckt
erkennen, was man gemeinsam aufgebaut und geschafft hat. Berufliche Erfolge, vielleicht ein gemeinsames Unternehmen, einen verlässlichen Freundeskreis, eine stabile Partnerschaft. Und Kinder, dieâ trotz all unserer Erziehungsfehlerâ ihren Weg ins Leben gefunden haben.
Viele Jahre hat man die meiste Zeit gemeinsam auf diese Kinder geblickt, war um ihr Wohl und Wehe besorgt, hat sich mehr als Eltern- denn als Ehepaar begriffen. Nun geraten sie allmählich aus dem Blick, und zwangsläufig wendet man sich wieder mehr dem Partner zu. Und fragt sich dabei, ob es noch genügend Verbindendes gibt, oder ob man sich unmerklich ein wenig verloren hat.
Im letzten Jahr bekamen Peter und ich einen Vorgeschmack auf die Zeit, in der wir wieder alleine leben werden. Unsere Kinder waren beide im Auslandâ Leo absolvierte ein soziales Jahr in Argentinien, Paulina machte ein Austauschjahr in den USA .
Anfangs überwog die Euphorie. Wir fanden es toll, dass wir morgens länger schlafen und abends spontan ausgehen, dass wir von jetzt auf gleich einen Wochenendtrip machen oder Freunde besuchen konnten. Frei über die eigene Zeit zu verfügen, das war etwas, das wir zwanzig Jahre nicht mehr erlebt hatten. Wir fanden es wunderbar, dass niemand in unser Arbeitszimmer gestürmt kam, um über eine Taschengelderhöhung oder ein neues Handy zu diskutieren, wir genossen die ungewohnte Ordnung im Haus und die Tatsache, dass niemand sich ungefragt T-Shirts, Schminkzeug oder CD s auslieh und verschlampte.
Wir machten einige Reisen und versicherten uns gegenseitig, wie toll es wäre, dass wir bald noch mehr Reisen machen könnten. Aber je mehr die Zeit verging, desto stärker vermissten wir die Kinder. Das Haus war so still und leer. Niemand polterte die Treppe hinunter, es lief keine laute Musik, es wurde nicht gelacht und nicht gestritten. Das Telefon klingelte deutlich seltener, und die Freunde unserer Kinder kamen natürlich auch nicht mehr spontan vorbei â wen hätten sie besuchen sollen? Wir vermissten die Gespräche mit Leo und Paulina, ihren Blick auf die Welt, ihren Humor, ihre Lebendigkeit. Manchmal war die Sehnsucht wie ein körperlicher Schmerz, und wir fühlten uns zu zweit verdammt einsam.
Aber zum Glück stellten wir auch fest, dass uns die Zeit miteinander nicht lang wurde und uns der Stoff zum Reden nie ausging. Wir genossen es, zusammenzusitzen und Gespräche zu führen, die sich nicht um die Organisation des Alltags oder unsere Arbeit drehten. Wir erzählten uns Dinge, die wir noch nicht voneinander wussten. Wir entdeckten uns ein Stück weit neu und fanden Vertrautes wieder, das in den Jahren, in denen wir uns hauptsächlich mit der Brutpflege beschäftigt hatten, in den Hintergrund getreten war. Kurz: Wir stellten zu unserer Beruhigung fest, dass wir es wohl auch ohne Kinder noch eine Weile miteinander aushalten können. Vorausgesetzt, keiner von uns flippt aus.
Oft erlebt man ja bei Menschen unseres Alters, dass sie plötzlich Dinge tun, mit denen keiner gerechnet hat. Männer verlieben sich in eine dreiÃig Jahre jüngere Frau und wollen ein völlig neues Leben beginnen. Frauen entdecken sich selbst, einen indischen Guru oder die segenspendende Wirkung von Feuerläufen, und wollen dabei nicht von einem kritischen Ehemann gestört werden. Wir möchten niemanden von seinem Selbstfindungstrip abbringen, die Frage ist nur, ob solche Versuche nicht eher eine Flucht vor den unausweichlichen Problemen des Ãlterwerdens sindâ zumal vor dem Ãlterwerden als Paar.
Sicher ist, dass die Verluste sich häufen, dass es altersbedingte Rückschläge im Beruf geben kann und der körperliche Verfall voranschreitet. Beim kritischen Blick in den Spiegel stellt man fest, dass man sich deutlich jünger fühlt, als man aussieht, und wenn man sich endlich entschlieÃt, eine Gleitsichtbrille anzuschaffen, sieht man gleich noch mal fünf Jahre älter aus. Man fragt sich, ob der Partner einen ebenso gnadenlos beurteilt, wie man selbst es tut, und wie man sich fühlen wird, wenn man nicht mehr älter ist, sondern alt.
Aber jetzt aufgeben? Eine mehr als zwanzigjährige gemeinsame Geschichte mit all ihren Höhen und Tiefen in die Tonne treten, nur um einen kurzen Rausch in den Armen eines anderen zu erleben, oder einem obskuren Heilsversprechen nachzulaufen, von dem wir ohnehin wissen, dass es Hokuspokus ist?
Ich denke nicht
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