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Verliere nicht dein Gesicht

Verliere nicht dein Gesicht

Titel: Verliere nicht dein Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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erhalten, und hofften, dass die Magneten der Hubbretter keinen Blitzeinschlag anlocken würden. Während der ersten Stunden fanden sie den dramatischen Sturm faszinierend und staunten über seine Kraft, sie fragten sich, wann der nächste Donnerschlag die Felsen zum Zittern bringen würde. Dann wurde der prasselnde Regen einfach monoton und sie verbrachten den ganzen Tag damit, sich über alles und nichts zu unterhalten, vor allem aber über ihre Kindheit, bis Tally sicher war, David besser zu verstehen als alle anderen, die sie je gekannt hatte. An ihrem dritten Tag im Zelt hatten sie einen entsetzlichen Streit – Tally konnte sich später nicht mehr erinnern, worüber eigentlich -, der damit endete, dass David hinausstürzte und eine ganze Stunde allein im eisigen Wind aushielt. Als er endlich zurückkehrte, dauerte es Stunden, bis er nicht mehr zitterte, obwohl sie ihn doch in den Arm nahm. "Wir brauchen zu lange", sagte er endlich.
      Tally drückte ihn fester an sich. Es dauerte seine Zeit, Leute auf die Operation vorzubereiten, vor allem, wenn sie älter waren als sechzehn. Aber Dr. Cable würde nicht für immer damit warten, Davids Eltern umzuwandeln. Jeder Tag, an dem sie vom Sturm aufgehalten wurden, vergrößerte die Gefahr, dass Maddy und Az bereits unters Messer gekommen waren. Für Shay, die das perfekte Operationsalter hatte, war das Risiko sogar noch größer. "Wir kommen schon hin, mach dir keine Sorgen. Ich bin ein Jahr lang jede Woche gemessen worden, bis ich reif für die Operation war. Es dauert seine Zeit, wenn es richtig gemacht werden soll."
      Wieder durchlief David ein Schauer.
      "Tally, was ist, wenn sie sich nicht die Mühe geben, es richtig zu machen?"
            ***
      Der Sturm endete am nächsten Morgen, und als sie aus dem Zelt krochen, stellten sie fest, dass sich die Farben der Welt verwandelt hatten. Die Wolken waren hellrosa, das Gras zeigte ein überirdisches Grün und das Meer war dunkler, als Tally es jemals gesehen hatte. Nur der Schaum auf den Wellenkämmen und das vom Wind ins Meer gerissene Treibholz zeichneten sich davon ab. Sie waren den ganzen Tag unterwegs, um
      verlorene Zeit aufzuholen, obwohl sie es kaum glauben konnten, dass die Welt nach dem Sturm noch weiterbestand.
      Dann bog die Bahnlinie ins Binnenland ab und einige Nächte darauf hatten sie die Ruinenstadt erreicht.
            ***
      Die Ruinen sahen kleiner aus, als seien die Türme geschrumpft, seit Tally sie über einen Monat zuvor verlassen hatte, auf dem Weg nach Smoke, ausgerüstet nur mit Shays Zettel und einem Rucksack voller SpagBol. Als sie und David durch die dunklen Straßen flogen, schienen die Geister der Rusties sie nicht mehr von den Fenstern her zu bedrohen.
      "Als ich das erste Mal im Dunkeln hier war, hat diese Stadt mir wirklich Angst gemacht", sagte sie.
      David nickte. "Es ist ziemlich unheimlich, wie gut erhalten alles ist. Von allen Ruinen, die ich je gesehen habe, wirkt die hier am neuesten."
      "Sie haben sie mit irgendeinem Mittel behandelt, um sie für Schulausflüge zu erhalten." Und das war typisch für ihre Heimatstadt, das ging Tally jetzt auf. Nichts wurde sich selbst überlassen. Alles wurde in eine Bestechung, eine Warnung oder eine Lektion umfunktioniert.
      Sie verstauten das meiste von ihrer Ausrüstung in einem eingestürzten Gebäude, das weit von der Stadtmitte entfernt lag, einem verfallenen Haus, das wohl nicht einmal Schule schwänzende Uglies betreten würden. Nur Wasserreiniger, eine Taschenlampe und einige Packungen Nahrung nahmen sie mit. David war nie naher an die Stadt herangekommen als bis zu den Ruinen, deshalb übernahm jetzt Tally die Führung und folgte der Eisenader, die Shay ihr Monate zuvor gezeigt hatte.
      "Glaubst du, wir können jemals wieder Freundinnen sein?", fragte sie, als sie sich dem Fluss näherten und zum ersten Mal auf der ganzen Tour ihre Bretter trugen.
      "Du und Shay? Natürlich."
      "Trotz … dir und mir?"
      "Wenn wir sie erst vor den Specials gerettet haben, wird sie dir einfach alles verzeihen."
      Tally schwieg. Shay hatte doch schon begriffen, dass Tally Smoke verraten hatte. Sie bezweifelte, dass irgendetwas das jemals wiedergutmachen könnte.
      Dann hatten sie den Fluss erreicht und jagten im Spitzentempo über das Wildwasser, froh, endlich die schweren Satteltaschen los zu sein. Als die Gischt ihr Gesicht traf und das Wasser sie umtoste, konnte Tally sich fast einbilden, hier eine ihrer Expeditionen

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