Verliere nicht dein Gesicht
drückte David die Hände und überzeugte sich davon, dass er wirklich da war. "Du hast mir gefehlt", sagte sie.
"Du mir auch." Er küsste sie.
"Ihr seid einfach niedlich", sagte Shay und kämmte sich nach dem windigen Flug mit den Fingern die Haare.
"Hallo, Shay." David lächelte sie müde an. "Ihr seht hungrig aus."
"Nur, wenn du echtes Essen hast", sagte Shay.
"Nein, tut mir leid. Wir haben drei Sorten Instant-Curry."
Shay stöhnte und drängte sich an ihm vorbei in das verfallene Gebäude. Er schaute ihr nach, aber ohne die Bewunderung, die noch immer die Gesichter von Ryde und Astrix prägte. David schien ihre Schönheit nicht zu sehen.
Er wandte sich wieder Tally zu. "Endlich haben wir auch mal Glück."
Tally sah in sein verhärmtes, müdes Gesicht. "Wirklich?"
"Wir haben diese Tafel in Gang gebracht, die, die Dr. Cable in der Hand hatte. Mom hat den Telefonteil rausgerissen, damit sie uns dadurch nicht aufspüren, und sie hat Cables Arbeitsprogramme geöffnet."
"Und worum geht es da?"
"Die enthalten ihre ganzen Aufzeichnungen darüber, wie aus Pretties Specials werden. Nicht nur die körperlichen Aspekte", er zog sie enger an sich, "sondern auch, was es mit den Läsionen im Gehirn auf sich hat. Alles, was meine Eltern damals als Ärzte nicht erfahren haben."
Tally schluckte. "Shay..."
Er nickte. "Mom glaubt, dass sie eine Heilmethode finden kann."
Hippokratischer Eid
Sie blieben am Rand der Ruinenstadt.
Ab und zu überflogen Hubwagen die zerfallene Stadt und zeichneten ein weites Suchmuster über den Himmel. Aber die Smokies hatten lange vorher gelernt, sich vor Satelliten und Flugmaschinen zu verstecken. Sie legten in den Ruinen falsche Köder aus - chemische Glühstäbe, die menschliche Wärmemengen abgaben - und verdeckten die Fenster ihrer Gebäude mit schwarzem Kunststoff. Und natürlich war die Ruinenstadt riesig groß, sieben Menschen in einer ehemaligen Millionenstadt zu finden war wirklich keine Kleinigkeit.
Jeden Abend sah Tally, wie >New Smoke< wichtiger wurde. Viele Uglies hatten in der Ausbruchsnacht die glühende Botschaft gesehen oder davon gehört, und die nächtlichen Wallfahrten zu den Ruinen nahmen immer mehr zu, bis auf den hohen Gebäuden von Mitternacht bis zum Morgengrauen Strahler geschwenkt wurden. Tally, Ryde, Croy und Astrix nahmen Kontakt zu den Uglies aus der Stadt auf, verbreiteten neue Gerüchte, lehrten neue Tricks und zeigten die alten Zeitschriften herum, die der Boss aus Smoke gerettet hatte. Wenn die Uglies die Existenz der Specials anzweifelten, dann führte Tally ihnen die Plastikhandschellen vor, die noch immer an ihren Handgelenken saßen und forderte sie auf, sie zu durchtrennen.
Eine neue Geschichte übertraf alle anderen. Maddy hatte entschieden, die Gehirnläsionen nicht mehr geheim zu halten, alle Uglies hatten das Recht zu erfahren, was die Operation bedeutete. Tally und die anderen verbreiteten die Nachricht unter ihren Freunden aus der Stadt: Nicht nur das Gesicht wurde vom Messer verändert. Die Persönlichkeit, das wahre Ich, war der Preis der Schönheit.
Natürlich wollten nicht alle Uglies diese entsetzliche Geschichte glauben, aber einige taten es eben doch. Und manche schlichen sich im Schutz der Dunkelheit nach New Pretty Town, um dort mit ihren älteren Freunden zu sprechen und sich so ihre eigene Meinung zu bilden.
Die Specials versuchten manchmal, der Sache ein Ende zu bereiten und den Smokies eine Falle zu stellen, aber irgendwie wurden sie immer gewarnt und kein Hubwagen würde jemals zwischen verschlungenen Gassen und Schutt ein Hubbrett einfangen könnten. Die Smokies kannten inzwischen die Ecken und Winkel der Ruinen, als ob sie dort aufgewachsen wären, und konnten im Handumdrehen verschwinden.
Maddy arbeitete an der Heilmethode, sie benutzte Material, das sie aus den Ruinen gerettet hatten oder das Uglies brachten, die es aus Krankenhäusern und dem Chemieunterricht mitgehen ließen. Maddy entzog sich allen, außer David. Vor allem Tally gegenüber schien sie sich sehr kühl zu verhalten, und Tally hatte ein schlechtes Gewissen, wann immer sie mit David zusammen war, jetzt, wo seine Mutter allein war. Niemand sprach je über Az’ Tod.
Shay blieb bei ihnen, beklagte sich über das Essen, die Ruinen, ihre Haare und ihre Kleidung und über den Anblick der vielen hässlichen Gesichter. Aber niemals wirkte sie bitter, nur ununterbrochen genervt.
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