Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verliere nicht dein Gesicht

Verliere nicht dein Gesicht

Titel: Verliere nicht dein Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
Vom Netzwerk:
schmunzelte und bat um Entschuldigung. Tally konnte ihre tiefe, selbstsichere Stimme hören und sah, wie die neuen Pretties aufatmeten. Alles musste in Ordnung sein, wenn die Frau das behauptete.
      Tally ertappte sich bei dem Wunsch, aufzugeben und sich dem weisen Erbarmen der Wächterin anzuvertrauen. Wenn sie einfach alles erklärte, würde die Wächterin verstehen und die Sache in Ordnung bringen. Mittel-Pretties wussten immer, was zu tun war.
      Aber sie hatte Peris ein Versprechen gegeben.
      Tally wich zurück in die Dunkelheit und versuchte das entsetzliche Gefühl zu ignorieren, dass sie eine Spionin war, ein Eindringling, weil sie sich der Autorität der Frau nicht ergeben wollte. Sie schlich, so schnell sie konnte, durchs Unterholz.
            ***
      Kurz vor dem Ufer hörte Tally ein Geräusch. Ein dunkler Umriss zeichnete sich vor ihr im Flutlicht ab. Es war kein Paar, sondern eine einsame Gestalt in der Dunkelheit.
      Bestimmt ein Wächter, der im Unterholz auf sie wartete.
      Tally wagte kaum zu atmen. Sie war mitten im Kriechen erstarrt, ihr ganzes Gewicht ruhte auf einem Knie und einer verdreckten Hand. Der Wächter hatte sie noch nicht entdeckt. Wenn Tally lange genug stillhielt, würde er vielleicht weitergehen.
      Sie wartete, bewegungslos, endlose Minuten lang. Die Gestalt rührte sich nicht. Bestimmt war allen bekannt, dass die Parks den einzigen dunklen Weg nach New Pretty Town und wieder hinaus darstellten.
      Tallys Arm begann zu zittern, ihre Muskeln beschwerten sich über die lange starre Haltung. Aber Tally wagte nicht, ihr Gewicht auf den anderen Arm zu verlagern. Schon ein einziger knackender Zweig würde sie verraten.
      Sie hielt ganz still, bis alle ihre Muskeln schrien. Vielleicht hatte sie gar keinen Wächter vor sich, vielleicht täuschten die Lichter sie. Vielleicht bildete sie sich alles nur ein.
      Tally blinzelte und versuchte die Gestalt verschwinden zu lassen.
      Aber sie war noch immer da. Sie zeichnete sich vor den im Fluss tanzenden Lichtern deutlich ab.
      Ein Zweig brach unter ihrem Knie - Tallys schmerzende Muskeln hatten sie nun doch verraten. Aber die Gestalt bewegte sich noch immer nicht. Sie musste doch gehört haben ...
      Der Wächter war gütig, er wartete darauf, dass sie sich freiwillig ergab. Er gab ihr die Gelegenheit, sich geschlagen zu geben. Die Lehrer in der Schule machten das manchmal. Machten den Kindern klar, dass es keinen Ausweg gab, wenn sie nicht alles gestanden.
      Tally räusperte sich. Es war ein jämmerliches kleines Geräusch. "Tut mir leid", sagte sie.
      Die Gestalt seufzte. "Puh! Ist schon gut, bestimmt hab ich dir auch einen Schrecken eingejagt." Das Mädchen beugte sich vor, sie schnitt eine Grimasse, als täten auch ihr nach dem langen Stillhalten alle Muskeln weh. Das Licht fiel in ihr Gesicht.
      Auch sie war hässlich.
            ***
      Sie hieß Shay. Sie hatte lange dunkle Zöpfe und ihre Augen saßen zu weit auseinander. Ihre Lippen waren recht voll, aber sie war noch magerer als eine neue Pretty. Sie war auf eigene Faust nach New Pretty Town gekommen und versteckte sich seit einer Stunde hier am Fluss. "So etwas hab ich noch nie gesehen", flüsterte sie. "Überall Wächter und Hubwagen."
      Tally räusperte sich wieder. "Ich glaube, das ist meine Schuld." Shay machte ein skeptisches Gesicht. "Wie hast du das denn geschafft?"
      "Na ja, ich war in der Stadtmitte, auf einer Party."
      "Du hast eine Party geknackt? Wahnsinn", sagte Shay, dann senkte sie ihre Stimme wieder zu einem Flüstern. "Verrückt, aber bewundernswert. Wie bist du reingekommen?"
      "Mit einer Maske."
      "Wow! Einer hübschen Maske?"
      "Ähm, es war eher eine Schweinemaske. Das ist eine lange Geschichte."
      Shay zwinkerte. "Eine Schweinemaske. Okay, lass mich raten. Dann hat irgendwer dein Haus umgeblasen?"
      "Hä? Nein. Ich wäre fast erwischt worden, und da hab ich sozusagen ... Feueralarm ausgelöst."
      "Klasse Trick."
      Tally lächelte. Es war wirklich eine ziemlich gute Geschichte, jetzt, wo sie sie jemandem erzählen konnte. "Und ich saß auf dem Dach fest, und da hab ich mir eine Bungeejacke geschnappt und bin runtergesprungen. Ich bin mehr oder weniger den ganzen Weg bis hierher weitergehüpft."
      "Bist du nicht!"
      "Na ja, einen Teil des Weges jedenfalls."
      "Wirklich bewundernswert." Shay lächelte, dann wurde ihr Gesicht ernst. Sie knabberte an einem Fingernagel, auch so eine schlechte Gewohnheit, die durch die

Weitere Kostenlose Bücher