Verlobt, verliebt, verführt
„Mädels, ich würde euch liebend gern weiter zuhören. Es interessiert mich brennend, was alles in meinem Leben nicht stimmt, aber ich muss jetzt auflegen.“
„Warte! Höre ich da etwa Geräusche von Bauarbeiten?“, fragte Suzanne.
Taylor ließ sich von dem beiläufigen Ton nicht täuschen. Sowohl Suzanne als auch Nicole hatten ihre große Liebe durch Bauarbeiten kennengelernt. Bauarbeiten, die sie, Taylor, in Auftrag gegeben hatte. Jetzt hofften Suzanne und Nicole, dass ihr, Taylor, das Gleiche passierte.
Da muss ich euch enttäuschen, dachte Taylor. Ich werde mich in niemanden verlieben. Sie hatte zwar ein schlechtes Gewissen, dennoch hielt sie den Hörer ein wenig vom Kopf weg und ahmte mit dem Mund ein Rauschen und Knacken in der Leitung nach. Das ist nicht nett von mir, dachte sie. Schließlich sind das hier die beiden einzigen Menschen auf der Welt, denen ich wirklich etwas bedeute. Aber von dem ganzen Gerede über Liebe bekomme ich Schweißausbrüche, auch wenn die zwei es nur gut meinen.
Und eine Wellington geriet nie ins Schwitzen, schon gar nicht, wenn sie Seide auf der Haut trug. Das hatte Taylor von ihrer Mutter gelernt. „Ich muss auflegen, die Verbindung ist ganz schlecht!“, verkündete sie und beendete das Gespräch.
Mist. Sie liebte Suzanne und Nicole wie die Schwestern, die sie sich immer anstatt der beiden gewünscht hatte, die sie tatsächlich hatte. Trotzdem hätte sie bestimmt laut geschrien, wenn sie sich ihr Loblied auf die große Liebe noch länger hätte mit anhören müssen. Und im Moment konnte sie sich einen solchen Ausbruch nicht erlauben, denn sie brauchte ihre ganze Kraft, um ihre neuen Lebensumstände zu meistern.
Es kostete sie schon genug Energie, das nötige Geld für die umfangreichen Umbauarbeiten aufzutreiben. Allein aus diesem Grund bekam Taylor nachts oft kein Auge zu. Ihr Großvater hatte ihr ein Erbe mit einem großen Haken hinterlassen: dieses renovierungsbedürftige alte Haus, in dem sie jetzt stand. Nur das Haus und keinen Cent mehr. Keine Wertpapiere, kein Barvermögen, nichts.
Taylors teure Ausbildung hatte er komplett finanziert, und sie hatte gut von seinem Geld gelebt, bis er eines Tages starb und alles außer diesem Haus ihrer Mutter hinterließ, die gar nicht einsah, warum sie teilen sollte. Taylors Mutter war schon ihr ganzes Leben lang so geizig gewesen, dass jeder Schotte vor Neid erblassen konnte.
Tja, es war eben Pech. Taylor wollte darüber genauso wenig nachgrübeln wie über die Tatsache, dass ihre Familie, mit der sie nichts außer der Blutsverwandtschaft verband, bestimmt überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen würde, wenn sie die vor ihr stehende Aufgabe mit Erfolg bewältigte. Aber wenn sie es nicht schaffte, würden es ganz sicher alle mitbekommen. Wenn sie das Haus verkaufte, wäre sie frei und könnte tun, was sie wollte, doch sie hatte auch ihren Stolz. Sie stand vor der ersten großen Herausforderung ihres Lebens, und da wollte sie nicht kneifen.
Ich werde es schaffen, dachte sie. Ich werde dieses Haus renovieren lassen und meinen Platz im Leben finden. Schon vor Monaten hatte sie angefangen, ein Zimmer nach dem anderen wieder herzurichten, aber dann hatte sie sich dazu durchgerungen, einige ihrer wertvollen Antiquitäten zu verkaufen. Sie hatten ihr mehr eingebracht als erwartet, und sie wollte mit diesem Geld das ganze Haus in einem Zug renovieren lassen.
Und zwar ab morgen.
Auch wenn es ihr auch noch so schwerfallen mochte, sie würde ganz ruhig bleiben. Entschieden steckte sie das Handy wieder in die Tasche. Prüfend blickte sie zu den Wänden, die immer noch unter den rhythmischen Schlägen erbebten. Taylor war sich ziemlich sicher, dass sie sich mit dem Bauunternehmer darauf geeinigt hatte, erst morgen mit den Arbeiten zu beginnen, und nicht schon heute.
Eins konnte sie nicht leiden, und das war die Störung ihrer wohldurchdachten Pläne. Sie wollte diesen letzten Tag der Ruhe genießen, um Kraft für die vor ihr liegende Aufgabe zu sammeln. Damit sie ab morgen der Welt zeigen konnte, aus welchem Holz sie geschnitzt war.
Ihr Haus war um die Jahrhundertwende im viktorianischen Stil erbaut worden und besaß den altmodischen Charme der damaligen Zeit. Allerdings war das Haus seit mittlerweile hundert Jahren vernachlässigt worden. Putz rieselte von den Wänden, die elektrischen Leitungen waren in einem katastrophalen Zustand, über die Holzbalken hatten sich die Termiten hergemacht, und im letzten Jahr hatte ein
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