Verlockende Angst
weiß, dass deine schnippische Art nur aufgesetzt ist. Wahrscheinlich hast du deswegen einen Apfel als gefährliche Waffe benutzt. Gerade du solltest wissen, wie ernst die Lage ist. «
Sein Tadel trieb mir die Röte in die Wangen. Vor schlechtem Gewissen verknotete sich mein Magen förmlich. Ich betrachtete die Markierungen auf dem Boden. » Tut mir leid. «
» Ich bin nicht derjenige, bei dem du dich entschuldigen solltest. «
» Also, bei Lea entschuldige ich mich verdammt noch mal nicht. Das kannst du vergessen. «
Aiden schüttelte den Kopf. » Ich weiß, dass Leas Worte dich bestürzt haben. Ich kann… deine Reaktion sogar verstehen, aber du musst vorsichtig sein. Die Leute… «
» Ja, ich weiß. Die Leute beobachten mich. Bla, bla und nochmals bla. « Blinzelnd verfolgte ich die Schritte der patrouillierenden Wachposten. Es war die Zeit zwischen Dämmerung und Dunkelwerden, aber noch hatten die Lampen sich nicht eingeschaltet. Die größten Gebäude– Schule, Trainingsräume und Wohnheime– warfen dunkle Schatten. » Habt ihr eigentlich schon eine Ahnung, wo der Daimon stecken könnte? «
» Nein. Wir haben alles durchkämmt und suchen immer noch. Momentan kümmern wir uns vor allem um die Sicherheit der Studenten. «
Wir blieben am Fuß der Treppe zu meinem Wohnheim stehen. Die Veranda war leer, ein Zeichen dafür, dass sich alle unbehaglich fühlten. Sonst hingen hier immer Mädchen herum, die mit den Jungs ins Gespräch kommen wollten. » Hat Melissa den Daimon gesehen? Konnte sie ihn beschreiben? «
Aiden strich sich mit der Hand über die Stirn. » Derzeit kann sie sich kaum an den Angriff erinnern. Die Ärzte… nun ja, es liegt angeblich an dem Trauma, das sie erlitten hat. Ein Selbstschutz vermutlich. «
Ich wandte den Blick ab und war dankbar für die Dunkelheit ringsum. Warum konnte ich nicht vergessen, was in Gatlinburg passiert war? » Wahrscheinlich steckt noch mehr dahinter « , gab ich zu bedenken. » Sie ist ein Reinblut. Einer von uns wäre darauf trainiert, hätte auf Einzelheiten geachtet und möglichst viele Informationen gesammelt. Sie war das aber nicht. Sie ist einfach ein… normales Mädchen. Und wenn sie bei Nacht überfallen wurde, dann hielt sie den Angriff vielleicht für einen Albtraum. Ich kann mir kaum vorstellen, wie es sein muss, aufzuwachen und… « Ich unterbrach mich. Er sah mich merkwürdig an. » Was? «
» Ich glaube, du denkst in die richtige Richtung. «
Ich konnte das einfältige Lächeln nicht unterdrücken, das sich auf meinem Gesicht ausbreitete. » Ich bin eben großartig, ich weiß. «
Seine Lippen verzogen sich zu einem Schmunzeln. » Also, wie tief steckst du in der Tinte? «
» Im Wesentlichen habe ich Hausarrest, aber ich bin noch ganz gut davongekommen. « Ich lächelte noch immer wie bescheuert.
» Ja, allerdings. « Er wirkte erleichtert. » Halt dich aus allem heraus und schleich bitte nicht auf dem Gelände herum! Ich bezweifle, dass der Daimon noch hier ist, aber man weiß nie. «
Ich holte tief Luft und verschränkte die Arme vor der Brust. » Aiden? «
» Hmmm? «
Ich starrte auf Aidens Stiefel. Sie glänzten und waren überhaupt nicht verkratzt. » Es fängt an, stimmt’s? «
» Du sprichst von den Plänen, die deine Mutter erwähnte, oder? «
» Sie erzählte mir, was die Daimonen vorhätten. Und Eric ist noch da draußen. Was, wenn er dahintersteckt und…? «
» Alex. « Er beugte sich zu mir herab. Wir waren uns nahe, aber nicht so nahe wie im Trainingsraum. » Es kommt nicht auf Eric an. Wir sorgen dafür, dass so etwas nicht wieder passiert. Mach dir keine Sorgen! «
» Ich habe keine Angst. «
Aiden streckte die Hand aus und strich mir über die Finger. Die Berührung war kurz und trotzdem prickelte mein ganzer Körper. » Ich habe auch nicht behauptet, dass du Angst hast. Wenn überhaupt, dann bist du viel zu mutig. «
Unsere Blicke trafen sich. » Alles verändert sich gerade. «
» Es ist schon alles anders. «
Später an diesem Abend warf ich mich im Bett hin und her. Meine Gedanken wollten einfach nicht zur Ruhe kommen. Der Daimonenangriff, der Apfelanschlag, zickige Furien, die bevorstehende Ratssitzung und alles andere kreisten in einer riesigen, endlosen Wolke in meinem Kopf. Jedes Mal, wenn ich mich auf die andere Seite wälzte, ärgerte ich mich mehr über die Aussicht auf eine weitere schlaflose Nacht.
Die Schlafprobleme hatten ungefähr eine Woche nach meiner Rückkehr aus Gatlinburg begonnen. Ich
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