Verlockende Angst
Vorliebe für hübsche Knaben? « Ich schnaubte. » Moment mal, hatte Apollo nicht eine Vorliebe für einfach alles, was herumlief? Das heißt, bis es sich in Bäume oder Blumen verwandelte. «
» Was? « Leon blieb wie angewurzelt stehen und sah mit offenem Mund auf mich herunter. » Manche Mythen sind wahr, aber die meisten übertreiben. «
Zweifelnd zog ich die Augenbrauen hoch. » Ich hatte ja keine Ahnung, dass Sie ein Apollo-Fan sind. Tut mir leid. «
» Ich bin kein Fan. «
» Okay. Ist ja auch egal. «
» Wissen Sie, was ich interessant finde, Alexandria? « , fragte er nach kurzem Schweigen.
» Nein. Keine Ahnung. « In der kühlen Luft fröstelte ich.
» Wieso sind Sie kurz vor seinem Tod über das Orakel gestolpert? «
Ich sah mich auf dem fast leeren Gelände um und entdeckte nur Wächter und Gardisten. Mir war gar nicht klar geworden, dass es schon so spät war. » Keine Ahnung. Wahrscheinlich einfach mein sprichwörtliches Glück. «
» Zweimal? «
Zu meinem Erstaunen war er darüber also auch informiert. » Sieht nach doppeltem Glück aus. «
Leon nickte und heftete den Blick auf den Weg zum Mädchenwohnheim. » Wussten Sie, dass das Orakel sich nur jenen zeigt, denen es sich offenbaren will? Dass die meisten Reinblüter das Orakel nicht ein einziges Mal im Leben zu Gesicht bekommen? «
» Nein. « Ich wärmte mich mit meinen Armen und fragte mich, wo der Sommer geblieben war. Wir hatten fast Ende Oktober, aber so kühl wurde es um diese Jahreszeit sonst nicht.
» Dann wollte Ihnen Grandma Piperi etwas Wichtiges mitteilen « , erklärte Leon. » Etwas Wichtigeres als die Information, dass Sie die Geschichte verändern können. «
Ich ging langsamer, als ich plötzlich wieder die Worte des Orakels hörte. Er ist nicht, was er zu sein scheint. Er führt alle hinters Licht. Dieser spielt auf beiden Seiten. Ich sah zu Leon hoch und fragte mich misstrauisch, wohin dieses Gespräch führen sollte. Ich wusste nichts über Leon außer von seiner wundersamen Fähigkeit, immer dann aufzutauchen, wenn ich ihn nicht gebrauchen konnte– und von seiner Schwärmerei für Apollo. » Mehr hat sie nicht gesagt. «
Leon blieb vor der Treppe zum Wohnheim stehen und verschränkte die gewaltigen Arme vor der Brust. » Kommt mir ziemlich unklar vor. «
» Piperi drückt– drückte– sich immer unklar aus. Keine ihrer Aussagen kamen mir wirklich vernünftig vor. «
Er neigte den Kopf und ein Schmunzeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Ich sah ihn wahrscheinlich zum ersten Mal lächeln. » Das ist die Schwierigkeit bei Orakeln. Sie sagen zwar die Wahrheit, aber man muss sie deuten können. «
Ich zog die Brauen hoch. » Dann habe ich Grandma Piperi wohl nicht verstanden. «
Leon maß mich mit einem harten Blick. » Ich bin mir sicher, dass Sie es mit der Zeit verstehen werden. « Dann wandte er sich um und schritt davon.
Ich blieb noch eine Weile stehen und sah ihm nach. Eine längere Unterhaltung hatte ich mit dem Kerl noch nie geführt und sie ähnelte meinen Gesprächen mit dem Orakel. Sie ergab keinen Sinn.
Mich überkam ein ungutes Gefühl. Irgendetwas an Leon stimmte nicht– ihn umgab eine überirdische Ausstrahlung, die ich nicht ganz fassen konnte. War er etwa der geheimnisvolle Mann, von dem das Orakel geredet hatte?
Hoffentlich nicht! Ich erschauerte und stieg die Treppe hinauf. Unmöglich, einen solchen Muskelberg im Kampf zu besiegen.
10. Kapitel
I ch war ein nervliches Wrack.
Es hatte mit der kleinen Schachtel in meiner Sporttasche zu tun. Nett von Deacon, das Gitarrenplektron als Geschenk zu verpacken, aber inzwischen kam ich mir blöd vor, es Aiden zu überreichen. Nach allem, was im Zoo zwischen uns gewesen war…
Aber ich hatte es und musste es ihm geben. Wenn nicht, würde Deacon ihm gegenüber vielleicht eine Bemerkung machen, und das wäre mir noch peinlicher gewesen. Und es war nur ein Plektron. Es war ja nicht so, als würde ich schreien : Ich liebe dich! Obwohl es darauf auch nicht mehr ankam, nachdem ich es schon ausposaunt hatte.
Ich stand das Training mit Aiden irgendwie betäubt und zugleich überwach durch. Mir entging eine Gelegenheit nach der anderen, ihm zum Geburtstag zu gratulieren oder ihm die verdammte Schachtel zu geben. Ich konnte mich einfach nicht überwinden.
Und wenn er mich auslachte? Oder wenn ihm das Geschenk überhaupt nicht gefiel? Wenn er mich ansah und fragte: Wofür zum Teufel ist das? Wenn er die Schachtel auf die Matte warf? Und darauf
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