Verloren
– eigentlich stürmt er mehr herein.
»Matteo!« Valentinas Stimme klingt angespannt, obwohl sie lächelt. Und wenn ich ihr schon ansehe, dass sie ein schlechtes Gewissen hat, weil wir gerade über etwas gesprochen haben, über das sie mit niemandem reden sollte, dann durchschaut Matteo sie erst recht. Und genauso ist es, denn seine Augen werden schmal.
»Ich zeige Sophie gerade das Bild deines Urgroßvaters«, erklärt Valentina ihm, doch das ändert nichts an dem Ausdruck in seinen Augen. Sie erhebt sich mühsam, und ich tue das auch, aus Reflex, weil ich sie stützen will – und weil Matteos Blick mich so verstört. Er sieht wütend aus, denke ich. Wirklich wütend.
»Und jetzt setzen wir uns noch eine Weile in den Garten, das Wetter ist so schön«, fährt Valentina fort, offenbar fest entschlossen, die eisige Stimmung, die plötzlich im Raum herrscht, zu ignorieren.
»Nein, das geht leider nicht«, sagt Matteo und lächelt, doch es wirkt gezwungen, erreicht seine Augen nicht. »Sophie und ich müssen zurück nach Rom. Jetzt.«
23
»Was, jetzt schon?« Valentina ist sichtlich enttäuscht – und entrüstet. »Das kommt überhaupt nicht in Frage!«, erklärt sie resolut und sehr entschieden, und ich verstehe auf einmal, warum Matteo als Teenager bereit war, seine Bockigkeit zu vergessen und von ihr das Kochen zu lernen. Aber in diesem Fall nützt es nichts, Matteo scheint es einfach nicht mehr auszuhalten, mich im Kreis seiner Familie zu sehen. Und da ich auch keine Lust mehr habe, ihn und seine undeutbaren Blicke zu ertragen, pflichte ich seiner offensichtlichen Lüge bei.
»Es stimmt«, sage ich und zucke mit den Schultern, als sowohl die alte Dame, als auch Matteo mich verwundert anblicken. »Es liegt an mir. Ich … habe gleich noch einen Termin. Mit … einem Galeristen. Deshalb muss ich zurück.«
»Mit einem Galeristen?« Valentina legt den Kopf schief und betrachtet mich, als wäre sie nicht sicher, ob sie mir das glauben soll. Wahrscheinlich ahnt sie, dass ich mir das in diesem Moment ausgedacht habe – ich bin einfach zu ehrlich, und solche Ausflüchte fallen mir nicht leicht. Aber sie kann vielleicht besser damit leben, wenn sie denkt, dass ich der Grund für unseren abrupten Aufbruch bin und nicht ihr Enkel. Und gehen sollten wir wirklich – wir müssen uns nämlich ganz dringend unterhalten.
»Es tut mir sehr leid«, sage ich zu Valentina und meine es so. »Es war wirklich schön, dass ich hier sein durfte.« Es war sogar mehr als schön – es war etwas, dass ich niemals vergessen werde. Aber diese sympathische Familie, die mich mit so offenen Armen empfangen hat, ist nicht meine, sondern Matteos. Und dass ich ein Teil davon werde, scheint mir mit jeder Minute, die ich Matteos finstere Miene aushalten muss, unwahrscheinlicher zu werden.
Valentina gibt sich geschlagen. »Schade«, sagt sie mit einem Seufzen. »Aber da kann man dann wohl nichts machen.«
Nein, denke ich mit einem flauen Gefühl im Magen, während ich mit ihr durch das große Wohnzimmer zurück zu den anderen gehe und Matteos Blicke in meinem Rücken fühle. Da kann man nichts machen.
Auch der Rest der Familie bedauert, dass wir fahren wollen, vor allem die Kinder, die Matteo nur ungern wieder gehen lassen. In den Gesichtern der Erwachsenen sehe ich vor allem Sorge, besonders in Paolas. Sie scheint zu spüren, dass etwas nicht stimmt, und drückt mich auffällig lange und innig.
»Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder«, sagt sie und ich muss mich zwingen zu lächeln, weil ich das nicht glaube und der Kloß in meinem Hals plötzlich wieder drückt.
Matteo lächelt, während er sich verabschiedet, und er lächelt auch noch, als wir mit dem Cabrio vom Hof fahren. Doch sobald wir wieder auf der Uferstraße sind, wird sein Gesicht ernst und er verbirgt den Zorn nicht mehr, der die ganze Zeit unter der Oberfläche in ihm gebrodelt hat.
»Du bist mit einem Galeristen verabredet? Mit wem denn – mit Santarelli?«, fragt er mit aggressivem Unterton. »Wenn es drauf ankommt, dann bist du ja ziemlich schnell bei der Hand mit der passenden Lüge.«
Seine Stimme klingt vorwurfsvoll, und das ärgert mich.
»Was für eine Begründung hättest du ihr denn aufgetischt? Ich wüsste nämlich nicht, dass wir so dringend zurück nach Rom müssen.« Ich schüttele den Kopf. »Was ist dein Problem, Matteo?«
»Was hat sie dir erzählt?« Seine Stimmt klingt gepresst, und ich sehe erst jetzt, dass er das Steuer so fest umklammert hält,
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