Verloren
dass seine Knöchel weiß hervortreten.
»Sie hat von deinem Urgroßvater gesprochen – was er für ein Mensch war«, sage ich, doch das scheint nicht das zu sein, was er wissen will.
»Und was hat sie über mich gesagt?«, herrscht er mich an, was mich jetzt doch erschreckt. So wütend habe ich ihn noch nie gesehen, er ist richtig außer sich.
»Sie hat mir von dem Sturz erzählt, bei dem du dir die Narbe zugezogen hast«, antworte ich und zucke zusammen, als er auf das Lenkrad schlägt.
»Dazu hatte sie kein Recht.« Er beschleunigt den Wagen noch weiter – und zum ersten Mal macht mir das Tempo wirklich Angst. Ich bin ihm hilflos ausgeliefert, denke ich. In mehr als einer Hinsicht.
»Sie hat nur gesagt, dass du durch eine Glastür gefallen bist und innere Verletzungen hattest«, sage ich und gebe mir keine Mühe, den Frust darüber zu verstecken, dass er so mauert. »Sonst nichts.«
Wieder sieht er mich scharf an, und weil er so aufgewühlt ist, gelingt es ihm nicht, die charmant lächelnde Fassade wieder aufzubauen. Er ist erleichtert, denke ich. Und immer noch extrem wütend. Ablehnend. Aufgebracht. Was in mir plötzlich das gleiche Gefühl aufsteigen lässt.
»Dabei hätte ich wirklich gerne mehr erfahren«, sage ich anklagend. »Ich wüsste gerne, was es ist, das dich so fertig macht, dass du auf gar keinen Fall darüber sprechen willst. Wieso darf ich das nicht wissen, Matteo? Wieso darf ich dich nicht kennenlernen?«
»Weil es Dinge gibt, die ich nicht teilen will, okay?«, erwidert er scharf. »Die meine Angelegenheit sind und niemanden sonst etwas angehen. E Basta, adesso .«
Ich schüttele den Kopf, jetzt so in Rage darüber, dass er mir auch noch den Mund verbieten will, dass ich mir nicht mal mehr Gedanken darüber mache, mit welch beängstigendem Tempo er über die Straße jagt.
»Weil du Angst hast«, sage ich, und erst als ich es ausspreche, erkenne ich erstaunt, dass das das Problem ist. Das ist überhaupt das Problem. »Du hast Angst, dass dir jemand zu nah kommen könnte. Deswegen schubst du mich weg, wenn ich es versuche. Weil du Nähe nicht zulassen kannst.«
Er lacht, aber es klingt nicht fröhlich. »So ein Schwachsinn. Es gibt eine Menge Menschen, die mir nahestehen. Mit den wichtigsten davon waren wir gerade zusammen.«
Das stimmt, denke ich. Seine Familie steht ihm nah. Und er ist Giacomo ein treuer Freund, hat wahrscheinlich auch noch andere, mit denen ihn viel verbindet. Er kann sich Menschen öffnen, ist zu tiefen Gefühlen fähig. Aber eine reine Liebesbeziehung scheint er kategorisch auszuklammern. Als könnte er dort das Vertrauen, dass er seiner Familie und Freunden entgegenbringt, nicht aufbauen. Was etwas mit dem Tod seiner Frau zu tun haben muss, auch wenn ich die Zusammenhänge nicht begreife.
»Und wo wir gerade von Nähe zulassen sprechen«, fährt er immer noch wütend fort. »Bisher hatte ich auch nicht unbedingt den Eindruck, dass du so versessen darauf bist, alles mit mir zu teilen. Ich weiß nur das über dich, was Giacomo mir damals erzählt hat. Über den Rest schweigst du dich wohlweislich aus. Oder habe ich das falsch beobachtet, dass du jedes Mal dein Handy möglichst tief in deiner Tasche versteckst, wenn du eine SMS bekommst? Oder dass du den Raum verlässt, damit ich deine Telefonate ja nicht mithöre?«
Erschrocken sehe ich ihn an und fühle mich ertappt, denn ich habe tatsächlich versucht, Nigels Nachrichten und Anrufe vor Matteo zu verheimlichen. Und plötzlich wird mir auch klar, warum. Nicht, weil ich es ihm nicht erzählen wollte – sondern weil jeder Kontakt zu Nigel mich daran erinnert hat, dass meine Beziehung zu Matteo zum Scheitern verurteilt ist. Und das wollte ich die ganze Zeit über nicht wahrhaben. Ich wollte einen Weg finden, wie es doch klappen kann. Deshalb habe ich versucht, alles auszuklammern, was diese Hoffnung als Illusion enttarnt.
»Gut«, sage ich nach einer langen Pause. »Was willst du wissen? Ich erzähle es dir, wenn du mir sagst, was mit dir los ist.« Ich seufze. »Nur dann kann das zwischen uns irgendwie funktionieren, Matteo.«
»Wer sagt, dass ich das will?« Seine Stimme klingt jetzt hart. Verächtlich. »Ich bin, wie ich bin, Sophie, ich habe nicht vor, mich zu ändern. Und glaub mir, es gibt genug Frauen, die damit leben können.«
Das hat gesessen, ein Volltreffer in meine Magengrube, der so schmerzt, dass ich mich abwende und aus dem Fenster sehe, um die Tränen wegzublinzeln, die mir in die Augen
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